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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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nachdenklich. Und gerade du solltest das verstehen können. Dann lieber von Zeit zu Zeit Leute zerreißen.“
    Diesmal wirkte das Schweigen auf beiden Seiten des Gesprächs ein wenig hilflos. Schließlich seufzte Eulalia.
    „Wo wir das jetzt hinter uns haben und du schon einmal da bist: Magst du mir nicht erzählen, was dich eigentlich zu mir führt?“
    Einen Augenblick lang schien sich Auguste nicht recht entscheiden zu können. Aber dann holte sie tief Luft und ließ ihren Blick wieder über die Fläche des Sees wandern.
    Mit leisen Worten begann sie, ihre Geschichte zu erzählen. Von dem Erwachen im Wald, den sonderbaren Gefühlen eines langen Schlafes. Von dem Ding auf der Straße und jener Lichtung, die einmal ihre Hütte beherbergt hatte. Sie sprach von der kleinen Schmiede im Tal, die nun verschwunden war, und von ihrer sonderlichen Begegnung mit den Schinkelstedtern. Auch ihre Erinnerungen an de Vendetta ließ sie nicht aus.
    Kurz: Auguste erzählte der alten Weide alles, was ihr in den letzten zwei Tagen widerfahren war. Während sie sprach, unterbrach Eulalia die Hexe kein einziges Mal. Die Bewegungen ihrer Äste wurden langsamer und der Ausdruck ihrer Augen weicher.
    Schließlich berichtete Auguste, wie sie den Pfad erklommen hatte, wie sich die Kronen der Bäume tuschelnd über sie gebeugt hatten und von dem kurzen Gespräch mit dem Eichhörnchen. Dann war sie fertig und blickte gerade hinein in die grünen, dunklen Augen des Baumes, in denen sich goldene Funken wie Sternschnuppen regten. Es wurde still und fühlte sich so an, als würde das Dunkel um die beiden näherkriechen. Selbst das Eichhörnchen hatte sich friedlich niedergelassen und aufgehört, sie misstrauisch zu mustern.
    Eulalias Gedanken drangen weit. Tief senkten sich ihre Wurzeln hinab und flüsterten dort mit den Wassern, die unter dem steinernen Antlitz des Gebirges dahinrannen. Groß war die Zahl ihrer Blätter, mit denen sie dem Wind lauschte. Doch als sich ihre Stimme nun wieder mit langsamem Knarren regte, lag eine Spur Unbehagen darin.
    „Die Zeit, von der du da sprichst – sie ist schon lange vergangen. Seit Jahrhunderten.“
    Dann versuchte sie sich an die Regeln menschlicher Höflichkeit zu erinnern.
    „Es… nun, es tut mir leid.“
    Während ihrer Erzählung war Auguste rastlos hin und her gewandert. Nun plumpste sie mit müden Bewegungen auf ihren Platz am Ufer zurück. Eulalias Worte taten nichts anderes, als ein mulmiges Gefühl zu einer Gewissheit zu machen. Aber eben das schmerzte, denn es zerstörte jene Hoffnungen, die sich fein wie Spinnweben in irgendwelchen Winkeln verborgen hatten.
    „Was ist mit den anderen geschehen?“
    „Die anderen Hexen? Ich fürchte, ich weiß es nicht. Sie sind verschwunden, ebenso wie du. Eine nach der anderen wart ihr plötzlich fort, und das Wohin blieb mir stets ein Rätsel. Lange Jahre lebten die Berge ohne euch.“
    Trübe wanderte Augustes Blick die Uferlinie entlang. Andere Bäume standen dort, und dicke Flechten hingen von ihren Ästen herab. Von Eulalias nassen Blättern fielen schwermütige Tropfen auf die Oberfläche des Sees zurück.
    „Also bin ich allein?“
    Sie konnte spüren, wie die Augen des Baumes sie langsam musterten.
    „Ich fürchte, ja. Vieles hat sich verändert, seit die Letzte von euch gegangen ist, und selbst mir scheint sich dieses Land zu entfremden. Manchmal glaube ich, dass meine Wurzeln langsam zu alt werden, um all das Neue zu erkunden.“
    Die Luft um sie herum kam ihr schal vor. Die Kreise, die die einzelnen Tropfen auf das Wasser malten, vermischten sich, zogen durcheinander und vergingen.
    „Gibt es keine Hoffnung, dass die anderen auch zurückkehren?“
    „Schwer zu sagen. Die Erfahrungen eines langen Lebens zwingen mich allerdings zu dem Hinweis, dass Menschen nach mehreren Jahrhunderten eher selten wieder auftauchen.“
    Auguste konnte hören, wie sich der Baum auf die Zunge biss.
    „Andererseits stehst auch du plötzlich wieder hier – was man als positives Indiz werten könnte. Allerdings... würde ich mir nicht zu viele Hoffnungen machen.“
    Gedankenversunken nahm Auguste einen Stein zur Hand und warf ihn auf den See hinaus. Mit leisem Platschen ging er unter. Seine Kreise legten sich über das Muster der Wassertropfen und veränderten es für eine Weile. Dann erreichten sie das Ufer und vergingen ebenfalls.
    „Und… wenn ich trotzdem etwas unternehmen wollte?“
    Diesmal nahm sich Eulalia mit ihrer Antwort einen Augenblick

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