Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Lähmung und griff zügig um sich. Mit einem Mal wurde es schwarz vor Augustes Augen.
Sie wusste, dass sie noch immer aufrecht stand, in irgendeiner Bergwerkskammer, zusammen mit Rasputin und einem Bischof – aber das alles fühlte sich plötzlich sehr fern an. Und einen Augenblick später hatte sie es vergessen. Sie hing inmitten einer ganz privaten Dunkelheit und wartete auf das, was kommen mochte.
Als Erstes stellten sich die Geräusche ein. Unbestimmt zuerst, als riebe Eisen über Holz oder Stein. Das Knistern von Feuer gesellte sich dazu, dann hörte sie den ersten Schrei. Er traf sie unvermittelt, und vermutlich wäre sie zusammengefahren – doch Auguste musste feststellen, dass sie sich nicht bewegen konnte. Schließlich trafen die ersten Bilder ein. Sie wirkten ein wenig entrückt, wie durch eine zarte Nebelschicht. Trotzdem waren sie Auguste noch eindrücklich genug.
Sie sah eine große Höhle, bis unter die Decke von tanzendem Fackellicht erfüllt. Unbarmherzige Hände führten sie an verschiedenen Arten von Werkbänken vorbei. Die Hexe zog es vor, ihre Phantasie in diesem Zusammenhang nicht allzu sehr zu bemühen. Zielstrebig schob man sie auf die gegenüberliegende Wand zu. Dort stand eine Reihe von seltsamen eisernen Kisten. Ihre polierten Oberflächen glänzten im Feuerschein.
Die meisten der Behälter wiesen an ihrer Vorderseite Glasscheiben auf. Als sie den Kopf wandte, erblickte sie die eingezwängten Gestalten von Werwölfen, Kobolden und Feen – und das Gesicht von Mütterchen Gunhilda. Auguste hörte sich selbst schreien. Die Tür des Kastens unmittelbar vor ihr stand offen. Man gab ihr einen Stoß, dann folgte Dunkelheit.
Auguste spürte, wie ihre Anspannung nachließ. Doch als sie gerade durchatmen wollte, kehrte das Bild zurück. Sie blickte an die Höhlendecke und zerrte an ihren Fesseln, nichts geschah. Dann schob sich ein Gesicht in ihr Blickfeld. Es war nicht eben lieblich anzuschauen, und wenig später versetzte ihr eine Faust einen derben Schlag.
Es folgten noch zwei, drei ähnliche Szenen: Immer wieder blickte sie in die vom Feuerschein erhellte Höhle, und immer traf ihr Blick dabei auf Gerätschaften oder Gestalten, über die sie lieber nicht zu gründlich nachdenken wollte. Dann kehrte die Dunkelheit zurück. Diesmal dauerte sie sehr, sehr lange.
Als Auguste schließlich wieder zu sich kam, bemerkte sie, wie Rasputin aufgeregt gegen ihr Schienbein pickte. Der Bischof musterte sie besorgt. Angestrengt blinzelte sie ein paar Mal und versuchte dabei, die Lähmung aus ihren Gliedern zu vertreiben. Sie musste sich mehrfach räuspern, und ihre Stimme klang hohl.
„Warum hast du mich hierher gebracht?“
Zacharias Korkenbaum zögerte einen Augenblick, dann nahm er sich ein Herz.
„Ich muss herausfinden, wer das dort drin ist – und
warum man ihn so weit entfernt von den anderen verwahrt.“
Der Bischof wies auf den Behälter. Auguste fiel auf, dass jemand vor kurzer Zeit einen Teil der Glasplatte blankgewischt hatte. Sie trat näher und blickte in das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes. Er trug einen gelben Helm auf dem Kopf, mit einer Lampe vorne dran. Seine Kleidung wirkte nicht eben altertümlich. Die Hexe runzelte die Stirn.
„Ich fürchte, da kann ich dir nicht weiterhelfen.“
Zacharias Korkenbaum seufzte.
„Aber mein lieber Bischof, warum kommen Sie mit Ihren Fragen auch nicht zu mir?“
Der folgende Augenblick war gekennzeichnet durch ein ansehnliches Maß an Verwirrung. Dazu kam eine Reihe persönlicher Erkenntnisse, deren Hauptgemeinsamkeit war, dass die betreffenden Personen gern einen Bogen um sie gemacht hätten.
Auguste, Zacharias und Rasputin fuhren herum.
In der Türöffnung stand der Kardinal und trug eine schadenfrohe Miene zur Schau. Hinter ihm zeichneten sich die beeindruckenden Gestalten einiger muskulöser Männer ab.
Bischof Korkenbaum wurde nervös.
Auguste und Rasputin dagegen spürten, wie sich ihre Wirbelsäulen jeweils in einen einzigen langen Eiszapfen verwandelten. Mit einem unterdrückten Quieken flüchtete der Wolpertinger hinter die Beine der Hexe, die zischend ihren Atem entweichen ließ.
„Theodosius de Vendetta“, stieß sie hervor.
Für einen langen Augenblick hingen diese Worte in der Mitte des Raumes, und diesmal war es am Bischof, verwirrt zu sein. Mit hörbarem Schnappen fiel seine Kinnlade nach unten.
„Ganz recht, meine Liebe.“
Langsam machte der ehemalige Inquisitor einige Schritte ins Innere des Raumes
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