Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
So irgend möglich, wurde die Aufregung daraufhin noch größer, einige der Männer redeten auf Gerätschaften ein, aus denen ihnen ebenso aufgebrachte Stimmen entgegenschrieen. Das versetzte Auguste, die mit derlei Apparaten nichts anzufangen wusste, zunächst in Sorge. Aber offensichtlich nutzte es wenig, und zehn Minuten später war der Korridor wieder leer. Das Tor jedoch blieb geschlossen.
Langsam ließ Auguste den angehaltenen Atem entweichen und reckte ihren Kopf aus der Nische hervor. Lange Röhren an der Decke versorgten den Gang mit Licht, und in der Ferne konnte sie noch immer einige Männer hören, doch zumindest bis zur nächsten Biegung war niemand zu sehen.
Langsam nahm sie die Hand vom Deckel, und sofort ließ sich ein besorgtes, dünnes Stimmchen vernehmen.
„Ist die Luft rein? Sind sie weg?“
„Ich glaube schon.“
„Oh, gut.“
Darauf folgten einige Sekunden Stille.
„Was machen wir jetzt?“
„Ich denke“, murmelte die Hexe leise, „jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für eine kleine Entdeckungstour.“
Damit löste sie sich von der Tunnelwand und machte sich vorsichtig auf den Weg ins Innere des Bergwerks.
Ganz so einfach sollte es allerdings nicht werden. Auguste und Rasputin brauchten nicht lange um festzustellen, dass sich der Ort in ausgesprochener Unruhe befand. Überall hasteten Leute umher, und der Anblick wehender Gewänder war allgegenwärtig.
Nur die Art der jeweiligen Unruhe schien sich zu unterscheiden. Einige rannten einfach hin und her – der genaue Anlass ließ sich nicht feststellen. Andere waren damit beschäftigt, eine Vielzahl von Geräten durch die Gänge zu transportieren, und eine dritte Gruppe war ganz offensichtlich auf der Suche nach Eindringlingen. Grimmige Gesellen, die die gleichen Gewänder trugen wie das Einsatzkommando auf dem Schinkelstedter Marktplatz und die immer wieder mit den Arbeitern tuschelten.
Insgesamt sorgten diese drei Gruppen dafür, dass es sehr schwer war, ungesehen voranzukommen. Und sie vereitelten auch einen anderen von Augustes Plänen, die insgeheim den Wunsch hegte, sich eine unbeaufsichtigte Einzelperson zu schnappen und sie einem fremdenführerischen Verhör zu unterziehen.
So blieb ihnen zunächst nichts anderes übrig, als das Geschehen untätig und von den Rändern her zu beobachten. Immer wieder sahen sie sich genötigt, von einem Stollen plötzlich in einen anderen auszuweichen, und mehr als einmal hätte man sie dabei um ein Haar ertappt.
Ursprünglich bestand ihr Plan darin, nach einem raschen ersten Rundgang wieder in die Nähe des Eingangs zurückzukehren und dort auf das Eintreffen von William und Lilly zu warten. Nun aber sahen sie sich immer tiefer in das Gewirr der Gänge hineingespült. Nach einer Weile begannen sie daher mit ihren Markierungen.
Wenn ihre Erkundungstour auf diese Weise auch eher einem chaotischen Zickzackkurs folgte, so begannen Auguste und Rasputin doch sehr bald, sich über die Größe dieses Ortes zu verwundern. Sie hatten keine Vorstellung davon gehabt, wie viele Menschen sich hier herumtrieben! Rings um den Hauptstollen, durch den sie hereingelangt waren, schien sich ein Gewirr von immer kleineren und immer verzweigteren Gängen zu entspinnen, und jeder von ihnen war von hektischer Aktivität erfüllt.
Man mochte in diesem Zusammenhang an allerlei Bienenstockmetaphern denken, aber die Hexe fühlte sich eher wie im Inneren eines Theaters, in dem alle Schauspieler kurz vor der Aufführung wild durcheinander rannten und leise vor sich hin plapperten. Es interessierte die Hexe sehr, welcher Art das Stück sein mochte, das hier gegeben wurde.
Die beiden stellten jedoch noch etwas anderes fest, das ihnen Neugier und Verdruss zugleich bescherte. Neugier, weil es eine ganz bestimmte Richtung gab, auf die der größte Teil der Aufregung zulief, einen Ort, wo sie sich bündelte. Und Verdruss, weil genau dies die Richtung war, in die sie bei der gegenwärtigen Hektik am allerwenigsten gelangen konnten.
So blieb ihnen fürs Erste nichts anderes übrig, als sich umhertreiben zu lassen wie ein Sektkorken in einem Whirlpool und sich dabei zumindest aus dem gröbsten Gedränge herauszuhalten. Denn welcher Art das anstehende Theaterstück auch sein mochte – sie legten keinen Wert darauf, eine unfreiwillige Rolle zu bekommen.
An einer anderen Stelle des Bergwerks rund um die Arche hastete Leonardo de Vendetta durch die Gänge. Nach seinem Treffen mit dem Archivar hatte er sich von Pangasius
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