Drachengasse 13, Band 01: Schrecken über Bondingor (German Edition)
hier ?“ , fragte Isjander barsch, und seine großen bernsteinfarbenen Augen blitzten. Er trug Brustharnisch, Arm- und Beinschienen, hatte sein Schwert umgegürtet und sah aus, als wolle er in den Krieg ziehen.
„Ich wurde durch den Lärm geweckt “ , antwortete Tomrin. „Was ist los ?“
„Der Nachtfresser macht erneut Ärger “ , sagte Isjander, während er die Tür zu seinem Zimmer aufriss und hineinstürmte. Ein Scheppern und Poltern war zu hören. Gleich darauf tauchte er wieder auf und hatte seinen glockenförmigen Helm mit dem schmalen Nasensteg in der Hand. Er musste ihn in der Eile auf seiner Stube vergessen haben. „Geh wieder ins Bett, Tomrin. Das ist nichts für dich .“
Tomrin spürte Widerwillen in sich aufsteigen, schon deshalb, weil ausgerechnet Isjander ihm sagte, die Suche nach dem Nachtfresser sei nichts für ihn. Aber er schwieg. Widerworte hätten ohnehin nichts gebracht. Außerdem stürmte Isjander bereits wieder ins Erdgeschoss hinunter und zur Eingangstür.
Tomrin wirbelte herum und rannte in seine Kammer zurück. Rasch schob er einen Stuhl unter das Dachfenster, öffnete es und kletterte nach draußen. Kühle Luft wehte ihm entgegen und blies durch sein Nachtgewand. Es war noch vor Sonnenaufgang, allerdings zeigte sich bereits ein schmaler, heller Streifen am östlichen Himmel.
Als Tomrin sich nach vorn zur Dachkante schob, sah er, dass im Hof ein kleiner Tumult herrschte. Sein Vater, Isjander und sicher ein halbes Dutzend Soldaten setzten eilig ihre Helme auf und schnallten ihre Schilde um. Dann bestiegen sie ihre Pferde und gaben ihnen die Sporen. In wildem Galopp preschten sie über den Innenhof und zum Tor der Festung hinaus.
Einen Moment lang verspürte Tomrin das überwältigende Bedürfnis, Hose, Wams und Stiefel überzustreifen und ihnen nachzueilen. Er hätte zu gern gewusst, was es mit diesem unheimlichen Nachtfresser auf sich hatte, der Bondingor so in Angst und Schrecken versetzte und seinem Vater solche Schwierigkeiten bereitete.
Aber dann erinnerte sich der Junge an das Versprechen, das er seinem Vater am Abend gegeben hatte. Missmutig presste er die Lippen zusammen. Er durfte sein Wort nicht brechen. Daher blieb ihm nur eines: zurück in sein Bett zu krabbeln und zu versuchen weiterzuschlafen. Der Nachtfresser musste warten.
Doch Tomrin sollte keinen Schlaf mehr finden …
Der neue Morgen war kaum mehr als ein flammend rotes Leuchten am Horizont, da begrüßte Sando ihn bereits auf seine Weise. Der Junge aus dem Hafenviertel saß mal wieder am Fleet, ganz allein auf einer hohen Mauer, die zu einer längst aufgegebenen Landungsstelle gehörte, und dachte nach. Rings um ihn erwachte langsam die Stadt. Kühler Wind strich ihm um die Nase und durch das wilde dunkle Haar. Er roch nach Weite und Wasser, nach Möglichkeiten. Manchmal, wenn der Schmerz über den Tod seiner Eltern am schlimmsten war, stellte Sando sich vor, der Wind in seinen Haaren sei die liebevolle Berührung seines Vaters.
Der Junge hatte kaum schlafen können. Stundenlang hatte er im Bett gelegen, doch wann immer er zu träumen begonnen hatte, waren die Bilder wiedergekommen. Bilder voller Flammen und Zerstörung, voller Tod.
Eigentlich wusste er genau, dass er sich gar nicht an die Nacht erinnern konnte, in der seine Eltern gestorben waren. Er war zwar dabei gewesen, aber noch viel zu jung, um das grauenvolle Erlebnis im Gedächtnis zu behalten. Trotzdem gaukelte ihm seine Fantasie im Schlaf oft genug das Gegenteil vor. Dann träumte Sando von damals und sah das brennende Haus vor sich, hörte die Schreie seiner Mutter … bis er endlich hochfuhr, schweißgebadet und zitternd.
In Nächten wie dieser hielt es Sando zu Hause nicht aus. Dann brauchte er seinen Lieblingsplatz, hier oberhalb des Fleets, um wieder zur Ruhe zu kommen und die falschen Erinnerungen zu vertreiben. Sein Vater war ein Mann des Hafens gewesen, so viel wusste er. Vielleicht hatte er sogar beim Bau dieser alten Landungsstelle mitgeholfen, die niemand mehr benutzte, seit der Kanal für den Schiffsverkehr auf dem Fleet zu klein geworden war.
Sando seufzte. Er vermisste seine Eltern.
Wie stets war er aus dem Fenster seines Zimmers im Obergeschoss von Gumps Brandung gestiegen und aufs Dach geklettert. Dabei hatte er fast das Schälchen verdorbener Milch umgestoßen, das Gump Abend für Abend für die Kobolde hinstellte, die auf seinem Haus lebten. Sando verstand nicht, warum sein Onkel das tat. Die kleinen, wilden Kerlchen, die
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