Drachengasse 13, Band 01: Schrecken über Bondingor (German Edition)
stand ein Karren, dem ein Rad fehlte und der vom Himmel gefallen sein musste, denn durch den Spalt zwischen den Häusern passte er nicht hindurch. Und im hinteren Bereich hing eine schmutzige, zerschlissene Stoffplane, die einst zu einem Marktstand gehört haben mochte. Moos und Vogeldreck zierten die Mauern, und von einem der Dachränder starrte ein fleckiger Wasserspeier finster auf die drei herab.
„Mensch, so gemütlich habe ich es bei mir im Hafenviertel nicht “ , spöttelte Sando.
„Ihr seid beide echt blöd .“ Hanissa verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht sollte ich euch mein Versteck lieber nicht zeigen .“
„Ach, komm schon, Nissa .“ Tomrin legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Wir meinen es doch gar nicht so. Ist doch toll hier .“
„Das ist ja noch gar nichts .“ Sie grinste.
Geschickt kletterte sie über einen Schutthaufen, bis sie die Stoffplane erreicht hatte, die früher rot-blau gestreift gewesen war, heute jedoch vorwiegend braun aussah. Mit einem Ruck zog Hanissa die Plane beiseite. Dahinter kam ein frei stehendes Mauerstück zum Vorschein, in das ein Fenster eingelassen war.
„Eine alte Hausruine ?“ , fragte Sando.
„Fast richtig “ , erwiderte Hanissa. „Aber immer noch nicht ganz .“
Aus einem Riss in der Mauer zog sie ein schmales Metallstück hervor und schob es zwischen den dunklen Holzrahmen und das aus kleinen gelben Butzenscheiben bestehende Fensterglas. Sie stemmte sich einen Moment ächzend dagegen, dann gab das offenbar verklemmte Fenster nach und öffnete sich quietschend. Dahinter war es dunkel.
Mit einer Hand raffte Hanissa ihren Rock hoch und kletterte hindurch. „Hereinspaziert “ , rief sie und winkte den beiden Jungen zu.
Tomrin und Sando wechselten einen verwirrten Blick und folgten ihr.
Tomrin fragte sich, was sie hier wohl erwartete.
Als er durch das Fenster stieg, durchlief ihn ein leichter Schauer. Es fühlte sich wie ein kaum spürbarer Windhauch an, der an ihm vorbeistrich und ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Nicht weniger seltsam war es, dass seine Füße ein dumpfes Pochen erzeugten, als sie den Boden berührten. Er blickte an sich hinab und erkannte, dass er auf dunklen Holzbohlen statt auf Erde stand.
Im nächsten Augenblick wurde es hell um ihn, weil Hanissa schwungvoll einige schwere Stoffvorhänge zur Seite zog. Tageslicht erhellte den Raum.
Tomrin hob den Kopf, und seine Augen wurden groß. Hanissa, Sando und er befanden sich in einem geräumigen, von schweren, wurmstichigen Holzbalken durchzogenen Zimmer, das wie das Erdgeschoss eines einfachen Wohnhauses aussah. Neben dem Fenster, durch das sie hineingekommen waren, gab es noch zwei weitere. Außerdem war drei Schritte neben ihm eine schwere Holztür in die Wand eingelassen, die allerdings verriegelt war. An der linken Wand befanden sich eine Feuerstelle und eine Kochnische. An der rechten Wand stand eine Kommode, über der ein zerschlissener Wandteppich hing. Eine Stiege führte durch ein Loch in der Decke hinauf in den ersten Stock.
Die Mitte des Raumes füllten ein großer Tisch und einige Stühle. Auf der Tischplatte lagen Töpfe, Fläschchen und Tiegel, bunte Quarzsteine, Federn, Kerzen und Pergamente, und über allem thronte ein schwarzer, kleiner Kessel, aus dem ein eigentümlicher Geruch nach Pfefferminz stieg. Der Boden rund um den Tisch war mit magischen Kreisen und Symbolen bedeckt. Sie waren mit weißer Kreide aufgemalt worden und wirkten ziemlich frisch.
„Wo sind wir hier ?“ , fragte Tomrin staunend, nachdem er sich umgesehen hatte.
„In der Drachengasse 13“ , erklärte Hanissa, und in ihrer Stimme schwang unüberhörbarer Stolz mit.
„Aber was ist das für ein seltsames Haus ?“
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich nehme an, es war früher mal ein ganz normales. Es wurde vermutlich irgendwann von einem Unsichtbarkeitszauber erwischt, der bei einem Ritual oben an der Universität schiefging. Seitdem ist es wohl in Vergessenheit geraten, denn der damalige Besitzer ist offensichtlich längst ausgezogen. So entstand ein Hof für Abfälle hier. Dann baute jemand davor neue Häuser, und bei alldem ging das Haus irgendwie unter .“
„Und wie hast du es gefunden ?“ , wollte Sando wissen.
„Es war ein Zufall. Ich bin vor fast zwei Jahren in der Bibliothek der Universität auf Aufzeichnungen des verpatzten Rituals gestoßen. Dort wurde das verschwundene Haus beschrieben, und ich wollte es mir
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