Drachenklänge
die Hand darauf legte. Er wusste, dass dies nicht der normale Krankheitsverlauf war, und er dachte daran, was Clostan ihm über die mangelnde Widerstandskraft alter Leute erzählt hatte. War Kasias Gesundheit durch die überstandenen Strapazen im
Sturm so angegriffen, dass sie der Krankheit nichts mehr entgegenzusetzen hatte? Er wagte es nicht, Juvana nach ihrer Meinung zu fragen. Sie war genauso besorgt wie er.
Nahezu ohne Unterbrechungen wachte Robinton an
Kasias Bett. Juvana ließ für sich ein Feldbett aufstellen, damit sie Tag und Nacht verfügbar war. Melongel
schaute herein. Auch Minnarden, der Robinton ablö-
sen wollte, damit er etwas Schlaf abbekäme.
Robinton lehnte das Angebot ab. Er hatte geschwo-429
ren, sich um Kasia zu kümmern, und nichts konnte ihn davon abbringen. Sie musste wieder gesund werden!
Sie musste!
*
Aber es kam anders. Kurz vor Tagesanbruch am fünften Tag ihrer Krankheit, als Melongel und Clostan sich der Wache angeschlossen hatten, öffnete sie die Augen, lächelte Robinton an, der sich über sie beugte, seufzte und schloss für immer die Lider.
»Nein. nein. Nein! Nein! Kasia! Du darfst mich nicht verlassen! «
Er schüttelte sie, versuchte, sie aufzuwecken, bis er spürte, dass Juvana ihn zurückzuhalten versuchte.
Dann umklammerte er Kasia, presste sie an seine Brust, streichelte ihr Haar, ihre Wangen, trachtete danach, sie ins Leben zurückzuholen.
Erst Melongel und Clostan gelang es, ihn von Kasia zu lösen, und Juvana legte sie wieder aufs Bett.
Clostan nötigte ihn, eine Mixtur zu trinken.
»Wir haben getan, was wir konnten, Rob. Aber manchmal genügt das nicht.« In Clostans Worten schwang eine Trauer mit, die so verzweifelt war wie Robintons eigener Schmerz.
*
Kapitän Gostol segelte die Maid des Nordens mit einer Besatzung, die lediglich aus Vesna und zwei Seeleuten bestand. Die Fieberepidemie hatte auch seine Crew dezimiert.
Merelan sang den letzten Abschied, denn Robinton konnte nicht sprechen. Aber er spielte die Harfe, die er mit so viel Liebe für seine Frau gebaut hatte. Und als Merelan den letzten Ton des Liedes verklingen ließ, warf er die Harfe ins Meer, dem man Merelans Leichnam anvertraute. Die Harfe gab einen misstönenden, 430
klagenden Akkord von sich, als der Luftzug in die Saiten fuhr. Dann kehrte wieder Stille ein. Selbst der Wind erstarb, als nähme er Rücksicht auf Robintons Trauer.
*
Er bezog wieder sein altes Junggesellenquartier.
Ifor und Mumolon leisteten ihm Gesellschaft, sorgten dafür, dass er etwas aß und sich des Nachts ins
Bett legte, denn er schien jede Antriebskraft verloren zu haben. »Wir müssen überleben …« Der Vers verfolgte ihn, spukte in seinem Kopf herum. Er hatte das Gefühl, nie wieder singen oder komponieren
zu können. Zwar bemühte er sich, seinen Verlust
zu verarbeiten, sich aus der Niedergeschlagenheit herauszureißen, doch er versank immer tiefer in Me-lancholie.
Allein saß er vor seinem Kaminfeuer. Ifor und Mumolon hatten anderswo zu tun, vielleicht, weil sie Pflichten erfüllen mussten, vielleicht auch nur, weil sie seine Depression nicht länger ertragen konnten. Die Tür ging auf, F'lon trat ein und sah seinen Freund an.
Robinton reagierte gleichgültig. Er nahm kurz von dem Drachenreiter Notiz und fuhr fort, in die Flammen zu starren.
»Ich hab's gerade erst erfahren«, begann F'lon und warf die Tür hinter sich zu. Auf dem Tisch stand eine fast leere Flasche Wein. F'lon goss den Rest in ein Glas und kippte es auf einen Zug herunter. »Sonst wäre ich schon viel früher gekommen.«
Robinton nickte. F'lon spähte aufmerksam in sein Gesicht.
»Es geht dir wirklich sehr schlecht, nicht wahr?«
Robinton ersparte sich eine Antwort. Er gab F'lon lediglich einen Wink, er möge verschwinden. Seinen Besuch wusste er zu schätzen, doch F'lon erinnerte ihn 431
zu sehr an ihre letzte Begegnung, die an seinem Hochzeitstag stattfand.
»Ist es so schlimm?« F'lon blickte sich nach einer neuen Weinflasche um. »Hast du alles ausgetrunken?«
»Trinken hilft nicht.«
»Ich weiß. Ich hab's auch probiert.«
Etwas in F'lons Stimme riss Robinton aus seiner
Teilnahmslosigkeit. »Was soll das heißen?«
»Sag mir zuerst, ob du noch eine Flasche Wein hier hast. Oder soll ich runtergehen und mir eine holen?«
F'lon wirkte verärgert, und Robinton deutete auf den Schrank. »Eine Flasche müsste dort noch stehen.«
»Hast du sie gezählt?«
Robinton zuckte die Achseln und seufzte. Gleichmütig sah er
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