Drachenläufer
verbeult und zerschossen, aber immerhin standen sie noch.
»Hier sieht's ja ganz manierlich aus«, bemerkte ich.
»Kein Wunder. Hier leben jetzt viele einflussreiche Leute.«
»Taliban?«
»Unter anderem, ja«, antwortete Farid. »Wer denn sonst noch?«
Wir fuhren eine breite Straße mit recht sauberen Gehsteigen und gepflegten Wohnhäusern zu beiden Seiten entlang. »Die Leute hinter den Taliban. Die eigentlichen Köpfe dieser Regierung, wenn man denn überhaupt von Regierung sprechen kann. Araber, Tschetschenen, Pakistani«, sagte Farid. Er zeigte nach Nordwesten. »Da drüben, die Straße
15 wird Sarak-e-Mehmana genannt.« Straße der Gäste. »Als solche gelten sie hier, als Gäste. Ich vermute, dass uns alle diese Gäste eines Tages auf den Teppich pissen werden.«
»Ich glaube, da ist es!«, sagte ich. »Da drüben!« Ich deutete auf eine unverwechselbare Stelle, die mir früher in meiner Kindheit und Jugend als Wegweiser gedient hatte. Wenn du dich jemals verirren solltest, pflegte Baba zu sagen, dann erinnere dich daran, dass am Ende unserer Straße ein rosafarbenes Haus steht. Dieses auffällige rosafarbene Haus mit dem steilen Dach stand immer noch.
Farid bog in die Straße ein. Nach Babas Haus brauchte ich nicht lange zu suchen.
Wir entdecken die kleine Schildkröte im Hof hinter dem Gestrüpp wild wuchernder Heckenrosen. Rätselhaß, wie sie dorthin gelangt ist, doch das kümmert uns nicht weiter, wir sind viel zu aufgeregt. Hassan hat eine zündende Idee, und wir bemalen den Panzer mit hellroter Farbe. So kann uns das Tier nicht so leicht im Gebüsch verloren gehen. Wir bilden uns ein, verwegene Forscher zu sein, die in einem fernen Dschungel auf ein riesiges prähistorisches Monstrum gestoßen sind und es mit nach Hause gebracht haben, um es der Welt zu zeigen. Wir stecken die Schildkröte in das kleine von Ali gebastelte Holzauto, das Hassan zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und stellen uns vor, das Auto wäre ein riesiger Käfig aus Eisen. Seht nur dieses Feuer speiende Ungeheuer! Wir marschieren durch das Gras, ziehen den Wagen hinter uns her, an Apfel- und Kirschbäumen vorbei, die sich für uns in mächtige Wolkenkratzer verwandeln, aus deren Fenstern Tausende von Köpfen hervorlugen, neugierig gemacht von unserem Spektakel. Wir ziehen über die kleine halbmondförmig geschwungene Brücke, die Baba zur Zierde in den Feigenbaumhain gebaut hat. Für uns ist sie eine große Hängebrücke, die zwei Städte miteinander verbindet, und der kleine Tümpel, den sie überspannt, ein tosendes Meer. Uber den himmelhoch aufragenden Stützen und Kabeln der Brücke versprühen explodierende Feuerwerkskörper ihr buntes Licht, und auf beiden Seiten entrichten uns bewaffnete Soldaten ihren Salut. Die kleine Schildkröte kegelt in dem Holzauto hin und her. Wir ziehen es über die mit roten Steinen gepflasterte Auffahrt vor dem schmiedeeisernen Tor und erwidern die Grüße der Staatsmänner aus aller Welt, die dort Spalier stehen und applaudieren. Uns, Hassan und Amir, den berühmten Abenteurern und erfolgreichen Forschungsreisenden, denen für ihre mutigen Unternehmungen ein Ehrenzeichen verliehen wird...
Zwischen den verwitterten Ziegelsteinen der Auffahrt wucherte Unkraut. Ich stand vor dem Tor meines Vaterhauses und kam mir vor wie ein Fremder. Die Hände auf die rostigen Eisenstäbe gelegt, dachte ich daran, wie ich als Kind unzählige Male durch dieses Tor gelaufen war, um Dinge zu besorgen, die aus heutiger Sicht belanglos, damals aber von großer Wichtigkeit waren.
Die Verlängerung der Auffahrt führte vom Tor in den Hof, wo Hassan und ich in dem Sommer, in dem wir Fahrrad fahren lernten, ein ums andere Mal gestürzt waren. Ich hatte dieses Wegstück sehr viel breiter in Erinnerung. Die Asphaltdecke war an mehreren Stellen aufgerissen, und aus den gezackten Spalten quoll Unkraut hervor. Die Pappeln, in denen Hassan und ich gehockt und unsere Blendspiegel auf die Häuser der Nachbarschaft gerichtet hatten, waren zum Großteil abgeholzt worden. Was davon noch übrig geblieben war, stand fast ohne Laub da. Die von uns so genannte Mauer des kränkelnden Maises gab es noch, doch von Mais, ob kränkelnd oder nicht, fehlte jede Spur. Der Anstrich blätterte ab und war an manchen Stellen ganz und gar verschwunden. Der Rasen hatte das gleiche Braun angenommen wie die Dunstglocke über der Stadt, abgesehen von den kahlen Flecken, die noch dunkler waren.
In der Auffahrt parkte ein Jeep, und der wirkte
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