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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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hielt ihn in die Luft. »Ich weiß noch: Um die Windrichtung zu bestimmen, hat dein Vater immer mit seinen Sandalen Staub aufgewirbelt. Er hatte jede Menge Tricks auf Lager«, sagte ich. »Ich glaube, der Wind kommt von Westen.«
    Suhrab wischte sich mit dem Daumen einen Regentropfen vom Ohrläppchen und verlagerte sein Gewicht von dem einen auf das andere Bein. Es war ihm kein Wort zu entlocken. Ich dachte an den Dialog zwischen Soraya und mir vor einigen Wochen, als sie mich gefragt hatte, wie seine Stimme klinge, und ich hatte antworten müssen, dass ich mich nicht mehr daran erinnerte.
    »Habe ich dir schon erzählt, dass dein Vater der beste Drachenläufer im Wazir-Akbar-Khan-Viertel war? Wenn nicht sogar der beste von ganz Kabul?« Ich knotete das lose Ende der aufgewickelten Schnur an den Zügel des Drachen. »Die Nachbarskinder waren alle neidisch auf ihn. Wenn er einem Drachen folgte, brauchte er gar nicht zum Himmel aufzublicken. Die Leute sagten, dass er dem Schatten des Drachen nachjage. Was aber überhaupt nicht stimmte. Dein Vater jagte keine Schatten. Er wusste einfach, wohin und wie weit er laufen musste.«
    Es waren inzwischen noch mehr Drachen aufgestiegen. Die Festgesellschaft versammelte sich in kleinen Gruppen. In der Hand eine Tasse Tee, beobachteten alle das Schauspiel am Himmel.
    »Wie wär's, wenn du mir dabei hilfst, diesen Drachen steigen zu lassen?«, fragte ich Suhrab.
    Er warf einen Blick auf mich, dann auf den Drachen.
    »Okay.« Ich zuckte mit den Achseln. »Dann muss ich ihn wohl tanhaii fliegen lassen.« Allein.
    Die Spule in der linken Hand, wickelte ich einen Meter Schnur ab und ließ den gelben Drachen daran baumeln, dicht über dem nassen Gras. »Letzte Chance«, sagte ich, doch Suhrab hatte seinen Blick auf zwei Drachen geheftet, die hoch über den Bäumen einander attackierten.
    »Na schön. Dann mal los.« Ich rannte los, stampfte mit meinen Halbschuhen durch Matsch und Pfützen und hielt die Schnur am ausgestreckten Arm. Es war nach vielen, vielen Jahren der erste Versuch dieser Art, und ich fürchtete schon, mich lächerlich zu machen. In der linken Hand ließ ich die Spule abrollen und spürte die Schnur durch die rechte schießen. Der Drachen stieg, taumelte, und ich lief schneller, gab immer mehr Schnur nach, ohne darauf zu achten, dass sie mir eine Wunde in den Handteller schlitzte. Schließlich blieb ich stehen und drehte mich um. Schaute nach oben. Lächelnd. Mein Drachen stand hoch am Himmel, schwang wie ein Pendel hin und her und gab jene flappenden Geräusche von sich, mit denen ich seit eh und je Wintervormittage in Kabul assoziierte. Seit einem Vierteljahrhundert hatte ich keinen Drachen mehr steigen lassen, doch plötzlich war ich wieder zwölf Jahre alt, und all die Instinkte von damals meldeten sich von selbst zurück.
    Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Suhrab mir gefolgt war. Er stand neben mir, die Hände tief in den Taschen.
    »Willst du's mal versuchen?«, fragte ich. Eine Antwort blieb aus. Als ich ihm aber die Schnur reichte, zog er eine Hand aus der Tasche. Zögerte. Nahm dann die Schnur entgegen. Mein Herz machte einen Sprung. Schweigend standen wir Seite an Seite, die Köpfe in den Nacken gelegt. Verfolgten unseren Drachen
    Um uns herum tollten Kinder, schlitterten über den nassen Rasen. Irgendjemand spielte das Motiv einer alten Hindi-Filmmusik. Ein paar ältere Männer hatten sich der Reihe nach zum nachmittäglichen namaz auf Plastikfolien niedergelassen. In der Luft hing ein Duftgemisch aus nassem Gras, Rauch und gegrilltem Fleisch. Ich wünschte, die Zeit würde stillstehen.
    Dann bemerkte ich, dass wir Gesellschaft bekamen. Ein grüner Drachen kam uns bedrohlich nahe. Ich folgte mit den Augen seiner Schnur und sah, rund dreißig Schritt von uns entfernt, einen Jungen mit kurz geschorenen Haaren und einem T-Shirt mit der Aufschrift »The Rock Rules« stehen. Er sah meinen Blick auf sich gerichtet und grinste. Winkte mir zu. Ich winkte zurück.
    Suhrab reichte mir die Schnur.
    »Bist du sicher?«, sagte ich.
    Er nahm stattdessen die Spule.
    »Okay«, sagte ich. »Wir sollten ihm ein sabagh geben, eine Lektion erteilen. Was meinst du?« Ich warf ihm einen Blick zu. Der glasige, leere Ausdruck in seinen Augen war plötzlich verschwunden. Hellwach und voll konzentriert beobachtete er die beiden Drachen, unseren gelben und den grünen des Jungen. Vor Erregung hatten sich seine Wangen ein wenig gerötet. Ich hatte, wie mir jetzt bewusst wurde, ganz

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