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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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fehl am Platz, denn dahin gehörte Babas schwarzer Mustang. Jahrelang hatte mich an jedem Morgen das Brummen seines Achtzylindermotors aus dem Schlaf geholt. Mir fiel auf, dass der Jeep Ol verlor; der Fleck, der sich auf dem Asphalt ausgebreitet hatte, wirkte auf mich wie ein großer Rorschach-Tintenklecks. Hinter dem Jeep lag eine umgekippte Schubkarre. Von den Rosenbüschen, die Baba und Ali auf der linken Seite gepflanzt hatten, war nichts mehr zu sehen. Stattdessen nur Dreck und Unkraut.
    Farid drückte zweimal auf die Hupe. »Es wäre besser, wir verschwinden. Sonst fallen wir noch auf«, warnte er.
    »Nur eine Minute noch«, entgegnete ich.
    Das Haus war bei weitem nicht die großzügige Villa, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Es sah sehr viel bescheidener aus. Das Dach war abgesackt, der Putz an zahllosen Stellen aufgerissen. Die Fensterscheiben des Wohnzimmers, der Diele und des Gästebadezimmers im Obergeschoss waren eingeschlagen und notdürftig mit durchsichtiger Plastikfolie geflickt oder mit Brettern vernagelt. Der einst weiße Anstrich hatte sich in ein gespenstisches Grau verfärbt, und an manchen Stellen kam darunter nacktes Ziegelgemäuer zum Vorschein. Die Stufen vorm Eingang waren zerbrochen. Wie so vieles andere in Kabul bot auch das Haus meines Vaters ein Bild verlorener Pracht.
    Ich fand das Fenster zu meinem alten Schlafzimmer im Obergeschoss, vom Eingang aus betrachtet das dritte Fenster auf der Südseite des Hauses. Dahinter war von meinem Blickwinkel aus nichts als Schatten zu erkennen. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte ich hinter ebendiesem Fenster gestanden, als dicke Regentropfen über die Scheiben rannen und das Glas von meinem Atem beschlug. Ich hatte damals zugesehen, wie Hassan und Ali ihre Habe in den Kofferraum von Vaters Auto luden.
    »Amir«, rief Farid zum wiederholten Mal.
    »Ich komme«, antwortete ich ungehalten.
    Es drängte mich, das Haus von innen zu sehen. Ich wollte die Stufen hinaufsteigen, bis zu der Stelle, wo Ali von mir und Hassan immer verlangte hatte, dass wir unsere Schneestiefel auszogen. Ich wollte hineingehen und den Duft der Orangenschalen riechen, die Ali zusammen mit Sägespänen in den Ofen zu werfen pflegte. Mich an den Küchentisch setzen, Tee trinken und ein Stück naan dazu essen, den von Hassan gesungenen alten Hazara-Liedern lauschen.
    Wieder Gehupe. Ich kehrte zurück zu dem Landcruiser, der am Gehweg parkte. Farid saß am Steuer und rauchte.
    »Eins muss ich mir noch ansehen«, erklärte ich ihm.
    »Würdest du dich bitte beeilen.«
    »Gib mir zehn Minuten.«
    »Wenn's denn sein muss.« Dann, als ich mich gerade abgewendet hatte: »Vergiss doch lieber alles. Das macht es leichter.« »Was würde dadurch leichter?«
    »Alles Weitere«, antwortete Farid. Er schnippte die Zigarette aus dem Fenster. »Was willst du denn noch sehen? Erspar dir die Enttäuschung: Von dem, woran du dich erinnerst, ist nichts geblieben. Vergiss es.«
    »Ich will aber nicht vergessen«, entgegnete ich. »Gib mir zehn Minuten.«
    Es hatte uns, Hassan und mich, kaum einen Schweißtropfen gekostet, den Hügel unmittelbar nördlich von Babas Haus zu erklimmen. Wir jagten uns gegenseitig das letzte Stück nach oben, tollten herum oder setzten uns auf einen Felsvorsprung, der uns einen weiten Ausblick auf den Flughafen in der Ferne bot. Wir sahen Flugzeuge starten und landen. Und dann rannten wir wieder los.
    Als ich jetzt endlich die zerklüftete Hügelkuppe erreichte, meinte ich mit jedem keuchenden Luftholen Feuer zu schlucken. Mein Gesicht war schweißnass. Ich hatte Seitenstechen und musste immer wieder stehen bleiben. Immerhin brauchte ich nicht lange, um den verlassenen Friedhof zu finden. Den alten Granatapfelbaum gab es immer noch.
    Ich lehnte mich an den aus grauem Stein gemauerten Pfosten am Eingang zum Friedhof, auf dem Hassan seine Mutter begraben hatte. Das alte Tor, das schon damals nicht mehr in den Angeln gehangen hatte, war weg, und das Unkraut stand überall so hoch, dass die Grabsteine fast darin verschwanden. Auf der niedrigen Mauer, die das Feld umschloss, hockten zwei Krähen.
    In seinem Brief hatte Hassan erwähnt, dass der Granatapfelbaum schon seit Jahren keine Früchte mehr trug. Angesichts der trockenen, entblätterten Zweige bezweifelte ich, dass dies je wieder der Fall sein würde. Ich dachte daran, wie oft wir auf diesen Baum geklettert waren, mit baumelnden Beinen rittlings auf seinen Ästen gehockt hatten, bestrahlt vom

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