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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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ebenfalls geschlagen und dann zurückgeschickt mit dem Auftrag, ihrem Mann zu sagen, dass mit ihm, dem Mullah, nicht zu spaßen sei: Wenn der Hurensohn seine Tochter schlüge, dann würde er, der Hodscha, seine Frau dafür schlagen.«
    Ich lachte. Teils über den Witz, teils darüber, dass sich afghanischer Humor offenbar nie änderte. Es wurden Kriege geführt, das Internet war erfunden, ein Roboter war über die Oberfläche des Mars gerollt, und in Afghanistan erzählte man sich immer noch Witze über Hodscha Nasreddin. »Kennst du den, wie der Hodscha, einen schweren Sack auf den Schultern, auf seinem Esel reitet?«, sagte ich. »Nein.«
    »Er wird auf der Straße von jemandem gefragt, warum er den Sack denn nicht dem Esel aufladen würde? Worauf er antwortet, dass das arme Tier mit ihm doch schon genug zu schleppen habe.«
    Wir tauschten noch ein paar weitere Hodscha-Nasreddin-Witze aus, bis uns keine mehr einfielen, dann wurde es wieder still.
    »Amir.« Farid schreckte mich aus dem Halbschlaf auf. »Ja?«
    »Warum bist du hier? Was ist der eigentliche Grund?« »Das habe ich doch gesagt.« »Wegen des Jungen?« »Wegen des Jungen.«
    Farid wälzte sich auf dem Boden herum. »Kaum zu glauben.« »Ich kann's manchmal selbst nicht glauben, dass ich hier bin.«
    »Nein ... ich meine, warum ausgerechnet dieser Junge? Du bist den ganzen weiten Weg von Amerika gekommen ... für einen Shi'a 7 .«
    Mit meiner guten Laune war es vorbei. Auch mit meiner Nachtruhe. »Ich bin müde«, sagte ich. »Lass uns schlafen.«
    »Inshalla, ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt«, murmelte Farid.
    »Gute Nacht«, sagte ich und drehte mich zur Seite. Bald hallte Farids Schnarchen durch den kahlen Raum. Ich hatte die Hände auf der Brust gefaltet, starrte durch das eingeschlagene Fenster auf den Sternenhimmel und dachte, dass womöglich wahr sein mochte, was andere über Afghanistan sagten. Vielleicht war es tatsächlich ein Land, für das es keine Hoffnung gab.
    Das Ghazi-Stadion füllte sich. Auf den Betontribünen wimmelten Tausende von Menschen. In den Gängen und auf den Stufen spielten Kinder Fangen. Ein Duft von Kichererbsen und scharfer Sauce hing in der Luft. Darunter mischten sich die Gerüche von Kot und Schweiß. Farid und ich kamen an Händlern vorbei, die Zigaretten, Pinienkerne und Gebäck feilboten.
    Ein dürrer Junge in einem Jackett aus grob gewebter Wolle fasste mich beim Ellbogen und flüsterte mir etwas ins Ohr, fragte mich, ob ich an »sexy pictures« interessiert sei.
    »Sehr sexy, Aga«, sagte er und sah sich mit aufmerksamen Augen um. Er erinnerte mich an das Mädchen, das mir vor ein paar Jahren im Rotlichtviertel von San Francisco Crack angeboten hatte. Der Junge schlug eine Seite des Jacketts auf und gestattete mir einen flüchtigen Blick auf seine »sexy pictures«: Postkarten mit Motiven aus indischen Spielfilmen, die rehäugig-schmachtende, aber vollständig angezogene Frauen in den Armen starker Männer zeigten. »So sexy«, wiederholte er.
    »Nay, danke«, sagte ich und schob mich an ihm vorbei.
    »Man wird ihn schnappen und verprügeln, so sehr, dass sich sein Vater im Grab umdreht«, murmelte Farid.
    Im Stadion galt freie Sitzwahl, und es gab auch niemanden, der uns höflich zu unserem Rang oder unserer Reihe geführt hätte. Platzanweiser hatte es nicht einmal früher in den Tagen der Monarchie gegeben. Auf der Tribüne gleich links neben der verlängerten Mittellinie fanden wir zwei recht gute Plätze, wozu Farid allerdings eine gehörige Portion an Körpereinsatz aufbringen musste.
    Ich erinnerte mich, wie grün das Spielfeld in den 70er Jahren gewesen war, als Baba mich zu Fußballspielen mitgenommen hatte. Statt eines gepflegten Rasens erstreckte sich jetzt ein Acker voller Löcher und Krater. Hinter dem Tor auf der Südseite fielen zwei besonders tiefe Löcher auf. Gras wuchs hier schon lange nicht mehr. Als die beiden Mannschaften schließlich aufs Spielfeld kamen - trotz der Hitze trugen alle Spieler lange Hosen - und zu spielen anfingen, konnte man vor all dem Staub, den sie aufwirbelten, kaum noch den Ball sehen. Mit Peitschen bewaffnet, zogen junge Taliban durch die Reihen und schlugen auf jeden ein, der zu laut zu jubeln wagte.
    Kurz nachdem der Halbzeitpfiff ertönt war, rollten zwei verstaubte rote Pick-ups durch das weite Stadiontor, Pritschenwagen, wie ich sie seit meiner Ankunft in der Stadt schon mehrfach gesehen hatte. Die Menge der Zuschauer erhob sich. In dem einen

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