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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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unserem Hinterhof dem Schaf, das geschlachtet werden sollte, die Augen mit Mascara geschminkt und ihm einen Zuckerwürfel zu essen gegeben hatte, bevor er ihm das Messer an den Hals setzte. Ich glaubte, in Suhrabs Augen ein stilles Flehen zu erkennen.
    »Verrate mir doch mal, warum«, sagte Assef und knabberte an Suhrabs Ohrläppchen. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    »Das ist meine Sache.«
    »Was willst du von ihm?«, fragte er. Und dann mit verschlagenem Grinsen: »Oder mit ihm.«
    »Das ist abstoßend«, sagte ich.
    »Woher weißt du das? Hast du es schon ausprobiert?« »Ich möchte ihn an einen Ort bringen, wo er es besser hat.« »Warum?«
    »Das ist meine Sache«, antwortete ich. Mir war selbst ein Rätsel, wie ich so bestimmt sein konnte. Vielleicht dachte ich, dass es mir so oder so an den Kragen gehen würde.
    »Aber genau das interessiert mich«, entgegnete Assef grinsend. »Mich interessiert, warum du wegen eines Hazara eine so weite Reise unternimmst. Was steckt dahinter? Wieso bist du hier?«
    »Ich habe meine Gründe«, sagte ich.
    »Na schön«, feixte Assef. Er versetzte Suhrab einen Stoß in den Rücken, worauf der Junge so fest mit der Hüfte gegen den Tisch prallte, dass dieser umkippte und die Weintrauben über den Boden kullerten. Suhrab stolperte und stürzte und verschmierte sein Hemd mit dem violetten Saft der Beeren. Die Beine des Tisches, die sich in dem Ring aus Messingkugeln kreuzten, zeigten nun zur Decke.
    »Dann nimm ihn doch mit«, sagte Assef. Ich half Suhrab vom Boden auf und klopfte die zerdrückten Trauben von seiner Hose, die wie Muscheln an ihm klebten.
    »Nimm ihn und geh«, sagte Assef und zeigte zur Tür.
    Ich nahm Suhrab bei der Hand. Sie war klein, die Haut trocken und voller Schwielen. Die Finger bewegten und verschränkten sich mit den meinen. Im Geiste sah ich Suhrab auf dem Polaroidfoto wieder, wie er den Arm um Hassans Bein geschlungen hielt und mit dem Kopf an der Hüfte des Vaters lehnte. Beide hatten gelächelt. Die Schellen klingelten, als wir zur Tür gingen.
    »Ich habe nicht gesagt, dass du ihn umsonst kriegst«, sagte Assef.
    Ich drehte mich um. »Was willst du?« »Du musst ihn dir verdienen.« »Was willst du?«
    »Wir haben noch eine offene Rechnung, du und ich«, antwortete Assef. »Du erinnerst dich doch, oder?«
    Und ob. Nie würde ich den Tag vergessen, an dem Daoud Khan den König gestürzt hatte. Sooft ich Daoud Khans Namen hörte, sah ich Hassan vor mir, die Schleuder auf Assefs Gesicht gerichtet, drohend, dass man ihn demnächst womöglich nicht mehr Assef Goshkhor, Ohrenfresser, sondern Einäugiger Assef nennen würde. Ich erinnerte mich, wie neidisch ich auf Hassans Mut gewesen war. Assef hatte klein beigeben müssen, aber geschworen, dass er sich an uns beiden rächen würde. Hassan gegenüber hatte er dieses Versprechen schon eingelöst. Jetzt war ich dran.
    »Also gut.« Ich wusste nichts anderes zu sagen. Betteln wollte ich nicht. Das hätte ihm diesen Moment zusätzlich versüßt.
    Assef rief die beiden Wachen zurück in den Raum. »Hört mal her«, sagte er zu ihnen. »Wir, er und ich, haben noch eine alte Geschichte zu klären. Ihr macht gleich die Tür hinter euch zu und bleibt draußen, egal, was ihr hören werdet. Verstanden? Ihr bleibt draußen.«
    Die Wachen nickten und warfen mir einen kurzen Blick zu. »Ja, Aga Sahib.«
    »Wenn wir hier fertig sind, wird nur einer von uns diesen Raum lebend verlassen«, sagte Assef. »Wenn er es ist, hat er sich seine Freiheit verdient, und ihr lasst ihn passieren. Verstanden?«
    Der ältere Wachmann trat von einem Bein aufs andere. »Aber Aga Sahib ...«
    »Wenn er es ist, lasst ihr ihn passieren!«, blaffte Assef. Die beiden Männer zuckten zusammen. Auf dem Weg nach draußen packte einer von ihnen Suhrab am Kragen.
    »Lasst ihn hier«, sagte Assef und grinste. »Er soll zusehen. In jungen Jahren kann man gar nicht genug Erfahrungen sammeln.«
    Die Wachen gingen. Assef legte seine Gebetskette ab und langte in die Brusttasche seiner schwarzen Weste. Was er daraus zum Vorschein zog, überraschte mich nicht im Geringsten: einen Schlagring aus Edelstahl.
    Er hat gegeltes Haar und trägt über den dicken L ippen einen dünnen Schnurrbart á la Clark Gable. Das Gel hat im Papier der grünen OP-Haube einen dunklen Fleck in Form des afrikanischen Kontinents gebildet. Daran erinnere ich mich genau. Daran und an das goldene Allah-Halskettchen. Er blickt auf mich herab und spricht in einer Sprache, die ich

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