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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Adresse auf und bat sie, mich anzurufen, sobald sie wusste, auf welche Höhe sich der angerichtete Schaden belief. »Ich werde für alles bezahlen, Mrs. Nguyen. Es tut mir so Leid.« Mrs. Nguyen nahm den Zettel und nickte. Ich sah, dass ihre Hände schlimmer als gewöhnlich zitterten, und ich war wütend auf Baba, weil er einer alten Frau solche Angst eingejagt hatte.
    »Mein Vater muss sich erst noch an das Leben in Amerika gewöhnen«, sagte ich zur Erklärung seines Verhaltens.
    Ich hätte ihnen so gern erzählt, dass wir in Kabul einfach einen Zweig von einem Baum abbrachen und diesen als Kreditkarte benutzten. Hassan und ich hatten den Holzstock immer zum Bäcker mitgenommen. Der schnitt mit seinem Messer Kerben in unseren Stock; eine Kerbe für jedes naan, das er uns aus dem prasselnden Feuer des tandoor-Ofens hervorholte. Am Ende des Monats bezahlte ihn mein Vater je nach Zahl der Kerben im Stock. Das war alles. Keine Fragen. Kein Ausweis.
    Aber das erzählte ich ihnen nicht. Ich bedankte mich bei Mr. Nguyen dafür, dass er nicht die Polizei gerufen hatte, und brachte Baba nach Hause. Er war eingeschnappt und rauchte auf dem Balkon, während ich einen Eintopf aus Reis und Hühnerhälsen zubereitete. Anderthalb Jahre war es nun her, dass wir aus der Boeing gestiegen waren, die uns aus Peshawar hergebracht hatte, und Baba hatte sich immer noch nicht richtig eingelebt.
    An jenem Abend aßen wir schweigend. Nach zwei Bissen schob Baba seinen Teller weg.
    Ich warf ihm einen Blick über den Tisch zu: die gesplitterten Nägel, schwarz vom Motoröl, die abgeschürften Knöchel, dazu die Gerüche der Tankstelle - Staub, Schweiß und Benzin - in seiner Kleidung. Baba war wie ein Witwer, der erneut heiratet, aber von seiner verstorbenen Frau nicht loskommt. Er vermisste die Zuckerrohrfelder von Jalalabad und die Gärten von Paghman. Er vermisste die Menschen, die in seinem Haus ein und aus gegangen waren, vermisste es, die belebten Gänge des Shor-Basars entlangzuschreiten und Menschen zu grüßen, die ihn kannten und seinen Vater und Großvater gekannt hatten,
    Menschen, deren Vorfahren auch die seinen waren, deren Vergangenheit mit seiner eigenen verknüpft war.
    Für mich war Amerika das Land, in dem ich meine Erinnerungen begraben konnte.
    Für Baba dagegen ein Ort, an dem er um die seinen trauerte.
    »Vielleicht sollten wir nach Peshawar zurückkehren«, sagte ich und beobachtete, wie die Eiswürfel in meinem Wasserglas herumschwammen. Wir hatten sechs Monate in Peshawar verbracht und darauf gewartet, dass der INS, die Einwanderungsbehörde der Vereinigten Staaten, uns die Visa ausstellte. Unsere schmuddelige Einzimmerwohnung roch nach dreckigen Socken und Katzenkot, aber wir waren umgeben von Menschen, die wir kannten - oder die zumindest Baba kannte. Er lud die ganze Etage von Nachbarn - die meisten von ihnen Afghanen, die auf ihre Visa warteten - zum Abendessen ein. Es war immer irgendjemand dabei, der seine tabla mitbrachte, und ein anderer sein Harmonium. Tee wurde aufgebrüht, und jeder, der meinte, singen zu können, sang, bis die Sonne aufging, die Moskitos aufhörten herumzuschwirren und die klatschenden Hände wehtaten.
    »Dort warst du glücklicher, Baba. Es war mehr wie in der Heimat«, sagte ich.
    »Peshawar war gut für mich. Aber nicht gut für dich.«
    »Du arbeitest hier einfach zu viel.«
    »Jetzt ist es ja nicht mehr so schlimm«, sagte er - vor einiger Zeit war er der Leiter der Tagesschicht der Tankstelle geworden. Ich hatte gesehen, wie er bei feuchter Witterung vor Schmerz zusammenzuckte und sich über die Handgelenke rieb. Wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach, wenn er nach dem Essen nach seinem Mittel gegen Magensäure griff. »Außerdem habe ich uns nicht um meinetwillen hierher gebracht, oder?«
    Ich griff über den Tisch und legte meine Hand auf die seine. Meine saubere, weiche Studentenhand auf seine schmutzige, schwielige Arbeiterhand. Ich dachte an all die Lastwagen, Eisenbahnen und Fahrräder, die er mir in Kabul gekauft hatte. Und jetzt Amerika. Ein letztes Geschenk für Amir.
    Nur einen Monat nach unserer Ankunft in den Vereinigten Staaten fand Baba Arbeit bei einer Tankstelle, nicht weit entfernt vom Washington Boulevard, deren Besitzer ein afghanischer Bekannter war - er hatte noch in der Woche unserer Ankunft begonnen, nach Arbeit zu suchen. Sechs Tage die Woche arbeitete Baba Zwölfstundenschichten, zapfte Benzin, bediente die Kasse, wechselte Ol, wusch Windschutzscheiben.

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