Drachenlied
stürzten sich auf die Leckerbissen. Menolly fing zwei weitere Tierchen ein, ehe sie zum Ausgang gelangten, und setzte sie zu ihren Gefährten. Sie war so beschäftigt, alle Kleinen zu versorgen, dass sie erst nach einiger Zeit das leise Zupfen an ihrer Schulter bemerkte. Überrascht schaute sie auf und sah, dass sich die kleine Bronzeechse an ihrem Kittel festklammerte. Ihre runden Augen kreisten und sie hatte immer noch Hunger. Menolly hob eine Spinnenklaue auf, die noch keinen Besitzer gefunden hatte, und setzte das Tierchen wieder in seine Ecke. Dann versorgte sie auch die kleine Königin ein zweites Mal mit Futter.
Kaum eine der jungen Echsen verließ die Höhle, und es dauerte nicht lange, bis die hungrigen Tiere den Riesenvorrat an Spinnenklauen verspeist hatten. Die armen Dinger hüpften kreischend umher und pickten selbst die kleinsten Fleischfasern von den Schalen. Aber sie blieben in der Höhle,
und nun fingen die älteren Echsen an, sie zu beruhigen und zu streicheln.
Völlig erschöpft lehnte sich Menolly gegen die Höhlenwand und betrachtete das hektische Geflatter. Wenigstens waren die Tiere nicht umgekommen. Sie warf einen vorsichtigen Blick ins Freie. Nirgends fielen Fäden. Auch der graue Nebel am Horizont hatte sich aufgelöst. Der Sporenregen war vorbei.
Und keinen Augenblick zu früh, denn wieder erreichten sie die Hungergefühle der kleinen Echsenschar. Und sie brachten ihr zu Bewusstsein, dass sie selbst einen völlig leeren Magen hatte.
Die kleine Königin - die Königinmutter, um es genau zu sagen - begann, durch die Höhle zu schwirren, und erteilte keifende Befehle an ihr Gefolge. Dann schoss sie ins Freie, umringt von den erwachsenen Tieren. Die Jungen flatterten mit ungeübten Schwingenschlägen hinterher. Sekunden später war Menolly allein in der Höhle. Nur die Schalen der Spinnenklauen zeugten vom Heißhunger der Feuerechsen.
Erst nach geraumer Zeit fiel Menolly das Stück Brot ein, das sie am Morgen in ihre Tasche gesteckt hatte. Mit einem Seufzer holte sie es hervor und aß es bis zum letzten Krümel.
Dann suchte sie sich eine Mulde im Sand, wickelte sich in den leeren Ledersack und schlief ein.
KAPITEL SECHS
Herr der Burg, versenge alles Grün,
Soll das Leben ringsum blüh’n.
Der Fädeneinfall war längst vorüber, und die Flammenwerfertrupps befanden sich wieder in der Sicherheit der Burg, ehe man Menolly vermisste. Sella bemerkte ihr Fehlen zuerst, denn sie hatte keine Lust, Onkelchen zu versorgen. Dem alten Mann ging es sehr schlecht und jemand musste an seinem Bett wachen.
»Das ist doch ohnehin das Einzige, wozu sie noch taugt«, sagte Sella zu Mavi und zog den Kopf ein, als die Mutter ihr einen zornerfüllten Blick zuwarf. »Ist doch wahr«, maulte sie trotzig. »Die steife Hand dient ihr als Ausrede, den ganzen Tag im Freien rumzustrolchen und uns die schwere Arbeit zu überlassen.«
»Halt den Mund! Ich habe genug echte Probleme um die Ohren«, entgegnete Mavi. »Ausgerechnet heute, bei Fädeneinfall, lässt jemand das Eingangsportal zur Burg offen...« Mavi schauderte bei dem Gedanken, dass die grässlichen Sporen ins Innere der Burg hätten eindringen können. »Such jetzt Menolly und sag ihr, was sie zu tun hat, wenn der alte Mann wieder einen Anfall erleidet.«
Es dauerte fast eine Stunde, bis Sella herausgefunden hatte, dass sich Menolly weder in der Burg noch in der Dockhöhle
aufhielt. Sie war auch nicht mit den Flammenwerfertrupps draußen gewesen. Überhaupt - kein Mensch erinnerte sich, sie irgendwann im Laufe des Tages gesehen zu haben.
»Sie wird doch nicht wie sonst zum Kräutersammeln gegangen sein?«, jammerte eine der alten Tanten ängstlich. »Die Warnung vor den Sporen kam schon beim Frühstück. Aber da fällt mir ein - heute Morgen war sie nicht in der Küche. Sie ist immer so hilfsbereit mit uns alten Leutchen, trotz ihrer kaputten Hand, das arme Ding.«
Anfangs war Sella schlicht wütend. Das sah Menolly ähnlich - fehlte immer dann, wenn man sie dringend brauchte. Mavi war einfach zu nachsichtig mit dem Kind. Nun, wenn sie am Morgen nicht in der Burg gewesen war, dann hatten die Fäden sie im Freien erwischt. Geschah ihr ganz recht.
Dann kamen Sella die ersten Zweifel. Und sie spürte, wie Angst in ihr aufkeimte. Wenn Menolly während des Fädeneinfalls draußen gewesen war... würde man dann... überhaupt noch etwas... von ihr finden?
Übelkeit erfasste sie. Sella schluckte und suchte ihren Bruder Alemi auf, der die
Weitere Kostenlose Bücher