Drachenlied
Flammenwerfertrupps beaufsichtigt hatte.
»Alemi - dir ist nichts - Ungewöhnliches aufgefallen, als du draußen warst?«
»Was meinst du mit ungewöhnlich?«
»Na ja, Überreste und so...«
»Überreste wovon? Ich habe jetzt keine Zeit für Rätsel, Sella.«
»Ich meine, wenn die Fäden einen Menschen im Freien erwischen - würde dann etwas von ihm übrig bleiben?«
»Was redest du da für ein Zeug?«
»Menolly ist nirgends in der Burg zu finden. Auch in der Dockhöhle hat man sie nicht gesehen. Und sie war nicht bei den Suchtrupps...«
Alemi zog die Stirn kraus. »Stimmt, das ist mir auch aufgefallen. Aber ich dachte, Mavi würde sie im Haushalt brauchen.«
»Da haben wir es! Und keine der alten Tanten scheint ihr heute Morgen begegnet zu sein. Und das Burgtor stand offen!«
»Du glaubst, dass Menolly schon in aller Frühe fortgegangen ist?« Alemi erkannte, dass ein hochgewachsenes, kräftiges Mädchen wie Menolly ohne Weiteres die schweren Bolzen öffnen konnte.
»Du weißt doch, wie sie seit diesem Unfall ist - verdrückt sich, wo immer sie eine Gelegenheit findet.«
Alemi wusste das sehr gut, denn er hatte seine schlaksige Schwester gern, und ihm fehlte vor allem ihr Gesang. Es störte ihn, wie die Eltern sie behandelten. Und er fand es auch nicht richtig, dass Yanus dem Harfner verschwieg, wer die Kinder unterrichtet hatte.
»Nun?« Sellas Frage unterbrach abrupt seine Gedankengänge.
»Ich habe nichts Ungewöhnliches gesehen.«
»Gäbe es denn Spuren - ich meine, wenn die Fäden sie wirklich erwischt hätten?«
Alemi warf Sella einen scharfen Blick zu. Das klang ja, als sei es ihr gleichgültig, wenn Menolly nicht mehr zurückkam.
»Nein, das wohl nicht. Aber den Geschwadern von Benden sind keine Fäden entwischt.«
Damit drehte er sich auf dem Absatz herum und ließ Sella einfach stehen. Sie starrte ihm mit offenem Mund nach. Seine Worte waren merkwürdigerweise kein Trost für sie. Aber es bereitete ihr Genugtuung, Mavi zu melden, dass Menolly nirgends zu finden war. Sie ließ auch keinen Zweifel daran, wer ihrer Meinung nach das Burgtor offen gelassen hatte.
»Menolly?« Mavi teilte der Köchin Salz und Würzkraut zu, als Sella ihr die Neuigkeit brachte. »Menolly?«
»Ganz recht - Menolly. Sie ist fort. Verschwunden. Sie hat das Portal offen gelassen. Bei Fädeneinfall!«
»Als Yanus das offene Tor entdeckte, hatte der Sporenregen noch nicht eingesetzt«, widersprach Mavi mechanisch. Sie schauderte bei dem Gedanken, dass irgendjemand - und sei es selbst eine widerspenstige Tochter - in den silbernen Regen geraten sein könnte.
»Alemi sagte, dass den Drachen keine Fäden entgangen seien, aber wie kann er das so sicher wissen?«
Mavi schwieg und drehte an der Kurbel der Gewürzmühle. »Ich werde Yanus Bescheid sagen. Und ein paar Worte mit Alemi reden. Du kümmerst dich jetzt um Onkelchen.«
»Ich?«
»Nun, warum nicht? Es ist eine Arbeit, die weder unter deiner Würde liegt noch deine Fähigkeiten übersteigt.«
Yanus blieb eine Weile stumm, als er von Menollys Verschwinden hörte. Er hasste es, wenn jemand gegen seine strengen Vorschriften verstieß. Und er hatte den ganzen Tag darüber nachgegrübelt, wer das Portal geöffnet haben mochte. Es war nicht gut, wenn ein Fischer-Baron den Kopf nicht bei der Arbeit hatte. So fühlte er sich erleichtert, dass dieses Rätsel gelöst war; andererseits empfand er Ärger und Sorge wegen des Mädchens.
Einfach verrückt, die Burg schon so früh zu verlassen! Aber sie hatte seit jener Tracht Prügel gebockt. Und Mavi hatte sie offenbar doch nicht genug beschäftigt, um sie von ihrer Musik abzulenken.
»Soviel ich hörte, sind die Küstenklippen von Höhlen durchzogen«, sagte Elgion. »Vielleicht hat das Mädchen in einer davon Schutz gefunden.«
»Ja, das ist möglich«, erwiderte Mavi rasch, dankbar für den
Hoffnungsschimmer. »Menolly kennt die Küste ganz genau. Sie hat jeden Winkel durchstreift.«
»Dann kommt sie sicher zurück, sobald sie den ersten Schock wegen des Fädeneinfalls überwunden hat«, erklärte Yanus. »Doch, sie kommt zurück.« Yanus klammerte sich an diese Theorie und wandte sich dann wichtigeren Geschäften zu.
»Es ist ja Frühling«, murmelte Mavi, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Nur dem Harfner fiel ihr besorgter Tonfall auf.
Zwei Tage später war Menolly immer noch nicht daheim und man unterrichtete alle Bewohner der Halbkreis-Bucht von ihrem Verschwinden. Keiner erinnerte sich, sie am Tag des
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