Drachenlied
erschrocken um.
Das Summen klang ganz nah. Menolly wirbelte herum.
Feuerechsen kauerten auf Felsvorsprüngen und starrten angespannt zu dem Gelege auf dem sandigen Boden der Höhle. Das Summen drang aus den Kehlen der kleinen Geschöpfe, und sie waren so mit den Eiern beschäftigt, dass sie ihren ungebetenen Gast gar nicht zu bemerken schienen.
Eben als Menolly zu Bewusstsein kam, dass sie der Schlüpfzeremonie beiwohnte, begann das erste Ei zu schaukeln, und Risse zeigten sich in der Schale.
Es rollte von dem kleinen Eierhügel herunter, zerbrach - und ins Freie schlüpfte ein winziges Geschöpf, kaum größer als Menollys Hand. Seine Haut schimmerte bräunlich, der Kopf pendelte hin und her und dann stieß das Kleine ein klägliches Hungergeschrei aus. Mit ein paar unsicheren Schritten stolperte es zum Eingang. Die transparenten Flügel spreizten sich, flappten unbeholfen.
Die anderen Echsen summten, ermutigten das Junge zum Flug. Mit einem zornigen Schrei lief es ins Freie. Menolly keuchte, als die winzige braune Echse wie ein Stein in die Tiefe plumpste. Doch kurz ehe sie den Boden erreichte, spannte sie die Schwingen aus und flatterte über das Wasser.
Neues Hungergeschrei lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück in die Höhle. Einige Grüne und Blaue waren geschlüpft, dazu zwei weitere Braune und eine Bronzeechse. Sie drängten an ihr vorbei zum Höhleneingang. Und dann, als sie zusah, wie der kleine Blaue startete, stieß Menolly einen Schrei aus. Kaum hatte das winzige Tierchen die Sicherheit der Klippe verlassen, da zuckte einer der dünnen, schlangenförmigen Silberfäden nieder. Im nächsten Moment war der Blaue umhüllt von den tödlichen Schlingen. Er wimmerte einmal kläglich und war dann verschwunden. Tot? Oder im Dazwischen? Ganz sicherlich schwer verwundet.
Wieder taumelten zwei kleine Echsen an Menolly vorbei und jetzt erst handelte sie.
»Nein! Nein! Ihr dürft nicht ins Freie! Das wäre euer Tod!« Sie warf sich den kleinen Geschöpfen in den Weg.
Wütend stießen die Echsen nach ihrem ungeschützten Gesicht, und als sie instinktiv einen Arm vor die Augen hielt, entwichen sie. Die Schmerzensschreie, die sie gleich darauf vernahm, gingen ihr durch und durch.
»Lasst sie doch nicht fortfliegen!«, flehte sie die großen Echsen an, die auf den Felsvorsprüngen saßen und summten. »Ihr seid älter! Ihr wisst, was Fäden bedeuten. Sagt ihnen, dass sie hierbleiben müssen.« Sie lief geduckt bis zur kleinen Königin.
»Bring du ihnen bei, dass sie nicht ins Freie dürfen! Draußen fallen Fäden. Das ist ihr Tod!«
Die Königin schaute sie an und ihre Facettenaugen schienen zu kreisen. Sie zeterte kurz, dann begann sie wieder zu summen: Das nächste Junge spreizte die Schwingen und taumelte dem sicheren Tod entgegen.
»Bitte, kleine Königin! Tu etwas! Halte sie auf!«
Ihre anfängliche Freude, dass sie dem Ritual des Schlüpfens beiwohnen durfte, verwandelte sich in blankes Entsetzen. Drachen mussten geschützt werden, weil sie Pern schützten. In ihrer Angst und Verwirrung machte Menolly keinen Unterschied zwischen Feuerechsen und den gigantischen Drachen.
Verzweifelt lief sie zurück zum Höhleneingang und versuchte, die jungen Echsen zurückzuscheuchen, wehrte sie mit ihrem ganzen Körper ab. Hungergefühle übermannten sie, ein Hunger, der ihr den Magen zusammenpresste und Krämpfe hervorrief. Es dauerte einen Moment, bis ihr dämmerte, dass die Triebkraft dieser kleinen Geschöpfe Hunger war - dass der Hunger sie hinausjagte in die Gefahr. Sie mussten
etwas fressen. Ihr fiel ein, dass auch Drachen gleich nach dem Schlüpfen Nahrung suchten, dass sie von den Teilnehmern der Gegenüberstellung gefüttert wurden.
Menolly riss ihren Lederbeutel auf. Mit einer Hand zerrte sie eine Feuerechse vom Eingang zurück, mit der anderen holte sie eine Spinnenklaue aus dem Sack. Die kleine Bronzeechse kreischte einmal, dann tötete sie ihre Beute mit einem gezielten Biss hinter dem Auge, zerrte sie in einen Winkel und verschlang sie.
Menolly griff sich aufs Geratewohl das nächste Tier aus dem Getümmel und hielt zu ihrem Erstaunen eine winzige Königin in der Hand. Sie holte zwei Spinnenklauen hervor, legte sie in eine Ecke der Höhle und setzte die neugeborene Goldechse davor. Dann aber merkte sie, dass sie nicht alle ausgeschlüpften Jungen auf diese Weise abfertigen konnte; kurz entschlossen stülpte sie den Lederbeutel um und schüttete die Spinnenklauen auf den Boden.
Winzige Feuerechsen
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