Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
und distanziert, herrischer als jeder König – der Drachenlord, den zu hassen man sie gelehrt hatte.
Doch es ging in diesem Spiel noch immer um eine Mission und um ihr Herz. Sie würden bis zum Ende spielen.
»Linden«, sagte sie. Das Beben in ihrer Stimme war echt, ebenso die Träne, die über eine Wange rann.
Dennoch schmolz das Eis in seinen grauen Augen nicht. »Lady Sherrine«, sagte er. »Erklärt mir bitte Euer gestriges Handeln. Ich dachte, wir hätten uns darauf verständigt, daß keiner von uns beiden dem anderen verpflichtet ist. Ich habe mich nicht in Eure Privatangelegenheiten eingemischt – und trotzdem habt Ihr es gewagt, Euch in die meinen einzumischen.«
Sie war erschrocken von der unbändigen Wut, die sie in ihm spürte, obwohl Linden nichts weiter tat, als vor ihr zu stehen, die großen Hände in die Seiten gestemmt, und auf sie herabzustarren.
»Sie ist nur eine Gemeine«, begann Sherrine unbeholfen, unter seinem funkelnden Blick allen Mut verlierend. Sie vergaß ihre schön zurechtgelegten Worte. »Sie hat keinen Rang. Sicher …«
»Rang? Glaubt Ihr wirklich, daß das Eure Tat entschuldigt, Lady Sherrine? Der andere Mann, mit dem Ihr Euch getroffen habt …«
Sherrine biß sich auf die Zunge, um nicht damit herauszuplatzen, daß es keinen anderen Mann gegeben hatte, daß es nur ein Täuschungsmanöver gewesen war, um Linden fernzuhalten, falls sie zu einem Treffen der Bruderschaft gehen mußte. Wenn sie sich die leiseste Hoffnung erhalten wollte, ihn vielleicht doch noch zurückzugewinnen, mußte sie den Mund halten.
Linden fuhr fort: »Ist sein Rang so hoch wie meiner? Nein. Trotzdem habe ich ihn nicht angegriffen, wie Ihr Maurynna angegriffen habt.
Und glaubt Ihr wirklich, daß einem Drachenlord ein Rang soviel bedeutet? Fast alle von uns wurden ohne jeden Rang geboren …«
Erschrocken fragte Sherrine: »Was meint Ihr? Ihr stammt doch bestimmt aus einer Königsfamilie oder wart zumindest adlig, bevor Ihr …«
Sein barsches Lachen unterbrach sie. »Königsfamilie? Adlig? Welchen Narrengeschichten habt Ihr gelauscht, Sherrine? Es gibt nur zwei lebende Drachenlords, die adlig geboren worden sind – ich bin einer davon. Und doch hättet Ihr mich verächtlich abgewiesen, wenn ich Euch mit diesem Rang unter die Augen getreten wäre. Mein Vater war Grundbesitzer, richtig – weil er ein heruntergekommenes Anwesen besetzte, das niemand anders wollte. Außerdem heiratete er die Schwester des DorfVorstehers. In den Augen der Einheimischen gab ihm das ein gewisses Ansehen. Für Euch und den Rest der rangbesessenen cassorischen Adligen, die ich bisher kennengelernt habe, wäre er nichts weiter gewesen als ein Bauer, der es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat.
Drachenlords werden als Bauern und Händler geboren, als Sklaven und fahrende Gaukler, als Bäcker und Bergarbeiter. Wir sind die Kinder von Fischern und Schneidern. Wir fuhren solch einfache Leben, bis wir uns verwandeln. Vielleicht haben uns die Götter deshalb als Vermittler zwischen den Nationen auserkoren – wir denken zuerst an das einfache Volk, nicht an eitle Könige und Königinnen.«
Sherrine war entsetzt. Sie hatte immer angenommen, daß Drachenlords aus Familien stammten, denen die Götter das natürliche Recht zum Herrschen verliehen hatten. Ganze Nationen nahmen Richtersprüche von Bauernkindern hin, ein König fügte sich dem Befehl eines »Sklaven«?
Linden nickte grimmig lächelnd. »Tarina war Sklavin. Und Kief war der Sohn eines Töpfers. Eines sehr guten Töpfers. Kief ist noch heute stolz auf die Kunstfertigkeit seines Vaters.«
Er wandte sich um. »Ich hatte geglaubt, Euch würde der Rang eines Menschen nicht interessieren, Sherrine. Das war mein Fehler – aber Ihr habt jemand anderen dafür büßen lassen.
Und ich kann in der Sache nichts unternehmen. Ein Cassorier hätte sich Euch niemals entgegengestellt. Aber Maurynna ist Thalnianerin. Nach cassorischer Gesetzgebung war es Euer gutes Recht, sie zu schlagen. Sie ist, wie Ihr sagt, nur eine Gemeine – mir hingegen ist das völlig gleich. Aber als Drachenlord muß ich das cassorische Recht akzeptieren, ob es mir gefällt oder nicht. Als Mann kann ich Euch nur sagen, daß es aus ist zwischen uns beiden. Wir hätten als Freunde auseinandergehen können, doch Ihr habt anders entschieden.«
Sherrine verzweifelte und war gewillt, alles zu versuchen. Um der Bruderschaft willen durfte ihre Beziehung zu Linden nicht enden. Sie wollte nicht wissen, was ihre
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