Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Tränen.
Das nächste, was sie mitbekam, war, daß Tante Elenna und Maylin wie zwei aufgeschreckte Hühner um sie herumschwirrten.
»Was ist los?« fragte Maylin immer wieder.
»Sei still, Tochter, quäl sie nicht so«, sagte Tante Elenna. »Sie ist einfach erschöpft von der Heilung und dem Schock wegen dem, was passiert ist. Manchmal ist das mit Menschen so. Komm, Maurynna, versuch aufzustehen. Morgen früh wirst du dich besser fühlen.«
Sie wollte sagen: Nein, ich werde mich morgen früh nicht besser fühlen. Wie auch? Sie wollte ihnen klarmachen, daß ihre Welt eingestürzt war, suchte nach den richtigen Worten, doch es kamen nur weitere Tränen. Irgendwann gab sie nach – denn nun war ihr alles egal – und ließ sich von ihrer Tante und ihrer Cousine die Treppe zur Schlafkammer hinaufführen. Dort angekommen, stand sie wie gelähmt da, während Elenna und Maylin sie auszogen und ihr ein Nachthemd überstülpten, als würden sie eine Puppe anziehen. Sie hatte aufgehört zu schluchzen, aber noch immer fielen Tränen aus ihren Augen.
Sie erinnerte sich an Maylins sorgenvolles Gesicht über ihrem, als sie sie ins Bett legten und ihr die Decke bis ans Kinn hochzogen. Dann schloß Maurynna die Augen und sperrte die Welt aus. Sie versuchten, sie zum Reden zu bringen. Sie weigerte sich. Als sie sich schließlich umdrehte und zu einem Ball zusammenrollte, bliesen sie das Binsenlicht aus und ließen sie in dem dunklen Zimmer allein.
Wie konnte er nur? dachte Maurynna. Ich dachte – ich dachte, vielleicht … Verdammt, ich hatte recht – manchmal ist es besser, einen Traum einen Traum bleiben zu lassen. Ich wünschte, ich hätte ihn nie kennengelernt.
Sie weinte sich in den Schlaf, noch immer sich selbst belügend.
»War es schlimm, Jungchen?« fragte Otter.
Sie saßen im Speisezimmer von Lindens Stadthaus. Auf dem Tisch standen ein Weinkrug und zwei Trinkkelche. Eine einzelne Kerze erhellte den Raum. Bis auf ihre leise Unterhaltung war es still im Haus. Die Dienerschaft hatte für den Rest des Abends frei.
Linden stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und vergrub das Gesicht in den Händen. »Schlimmer, als du dir vorstellen kannst, Otter. Ich fühle mich, als hätte ich mich eigenhändig entzweigerissen. Sie wird nicht verstehen, warum die Trennung ihr so weh tun wird. O Götter, helft mir – der Schmerz in ihren Augen …« Er drückte die Augen zu, als würde dies die Erinnerung auslöschen.
»Hast du ihr erzählt, was du befürchtest? Was Herzogin Alinya über die Bruderschaft sagt?« fragte der Barde, während er von neuem Lindens Kelch füllte. »Verdammt, Jungchen, ich wünschte, du könntest dich betrinken.«
Linden trank den Kelch in einem Zug leer. »Ich auch. Richtig besaufen, dann könnte ich alles für eine Weile vergessen. Und nein, Otter, das habe ich ihr nicht erzählt. Die meisten Leute halten die Bruderschaft für nichts weiter als ein Hirngespinst, etwas, aus dem Barden ihre Geschichten spinnen. Es hätte zu sehr nach einer billigen Erklärung geklungen.«
»Statt dessen hast du ihr also gar keine Erklärung gegeben.« Der Barde seufzte. »Na ja, ich glaube, es hätte sowieso nichts geholfen. Sie hat Piraten und Räuber in die Flucht geschlagen; eine obskure Bruderschaft könnte sie kaum einschüchtern. Sie wäre fest entschlossen, es dir zu beweisen. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, unsere Rynna ist ein Sturkopf.«
»Sie hat gesagt, sie will mich nie mehr wiedersehen«, sagte Linden.
Otter blinzelte überrascht. »Was – kann sie das wirklich ernst meinen? Bedeutet dieses Seelengefährtentum nicht, daß ihr beiden ohne den anderen nicht auskommt oder etwas in der Art?«
»Nein.« Linden trank den restlichen Wein und ließ sich von Otter sofort wieder nachschenken. »Nein, es ist nicht mit allen Seelengefährten so. Es gibt verschiedene Stufen. Die meisten stehen sich nicht näher als ein normales, sehr vertrautes Ehepaar. Und es gibt einige wenige – sehr wenige, den Göttern sei Dank –, die einander nicht ausstehen können.«
»Wie geht das denn, Jungchen? Die andere Hälfte seiner selbst nicht ausstehen können?« fragte der Barde überrascht.
»Hast du denn niemals jemanden kennengelernt, der sich selbst haßt, Otter?« fragte Linden. »Überleg mal.«
»Ah«, sagte der Barde und nickte. »Sicher. Du hast recht.«
Linden fuhr fort: »Einige stehen sich sehr nahe, wie Kief und Tarina. Für sie ist es unerträglich, längere Zeit voneinander getrennt zu
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