Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Zurückhaltung aufgebend, fuhr Sherrine fort: »Glaubt Ihr ernsthaft, dieser einsame Drachenlord könnte einem Techtelmechtel mit dem schönsten Mädchen am Hofe widerstehen? Ich werde ihn nach allen Regeln der Kunst verführen und alles nur Mögliche von ihm erfahren und herausfinden, wie wir am besten zuschlagen sollen.«
Sie faltete die Hände und wartete. Sie hegte keinerlei Zweifel, daß sie imstande war, ihre Idee in die Tat umzusetzen.
»Ich hätte nicht gedacht, aus deinem Mund einen solchen Unsinn zu hören«, sagte Anstella scharf.
Obwohl sie derlei erwartet hatte, trafen diese Worte sie. Sie wünschte, daß ihre Mutter ihr nur ein einziges Mal widerspruchslos zustimmen würde. Doch so sehr sie dies auch wünschte, dieses Mal gab nicht die Zustimmung ihrer Mutter den Ausschlag.
Es war die Zustimmung des Prinzen, die sie brauchte – und mehr noch Kas Althumes, wie sie vermutete. Während ihre Mutter mit Prinz Peridaen debattierte, betrachtete Sherrine das Profil des angeblichen Großhofmeisters, der mit einem seiner langen Finger die Maserung des Tisches nachzeichnete.
Er war so dünn, daß es fast an Magerkeit grenzte; seine Augen, bedeckt von schweren, hängenden Lidern, schauten gelangweilt, fast schläfrig. Seine hellbraunen Haare waren zurückgekämmt und fielen glatt auf die Schultern. Seine Nase war gerade, die Nasenflügel flach.
Seine Kleider waren – wie stets – dunkel und altmodisch geschnitten. Die bunten, auffallenden Gewänder der Hofschönlinge waren nicht sein Stil. Er kleidete sich bewußt unauffällig, entschied Sherrine; nichts an ihm ließ einen aufblicken, nichts an ihm blieb in Erinnerung.
In der von ihm gewählten Rolle war ihm nur ein Fehler unterlaufen: die Qualität der Stoffe, aus denen seine Kleidung geschneidert war. Sie waren viel zu teuer für einen Mann, der angeblich vom Wohlwollen des Prinzen lebte; Sherrine wußte, daß Peridaen nicht so großzügig war.
Sie fand dieses Mißgeschick interessant. Unbewußte Eitelkeit? Der Unwille, auf die ihm seiner Meinung nach zustehenden Annehmlichkeiten zu verzichten? Sie würde es zu gegebener Zeit herausfinden. Für den Augenblick reichte es aus, zu wissen, daß der Mann mehr war, als er vorgab zu sein.
Wie zur Bestätigung ihrer Mutmaßungen, räusperte sich Kas Althume. Sofort verstummten ihre Mutter und der Prinz und wandten sich zu ihm um.
Er murmelte: »Wir haben nichts zu verlieren, falls sie keinen Erfolg haben sollte.« Nachdenklich legte er sein Kinn auf die gefalteten Hände.
Ihre Mutter öffnete den Mund, als wollte sie ihm widersprechen. Kas Althume schaute finster zu ihr hinüber, und sie schloß den Mund wieder.
Dies beeindruckte Sherrine mehr als alles andere, was sie von dem Mann bisher gesehen hatte.
Vorsichtig sagte Peridaen: »Hmm. Stimmt, Kas, aber … Wir wissen Euer selbstloses Opfer zu schätzen, Lady Sherrine, aber wenn Ihr genauer darüber nachdächtet, würdet Ihr es widerwärtig finden und Euch eines Besseren besinnen.«
Sie rief sich Linden Rathans Gesicht ins Gedächtnis und hätte beinahe laut aufgelacht. Opfer? Sie konnte haben, was sie begehrte und zugleich ihre Position in der Bruderschaft stärken. Sie beglückwünschte sich zu ihrer Gerissenheit.
»Zum Wohle der Bruderschaft läßt sich jedes Opfer ertragen, mein Prinz«, sagte sie.
Der Prinz schaute wieder zu dem anderen Mann hinüber. Kas Althume zuckte mit den Schultern und nickte. Das Blitzen in den Augen ihrer Mutter verhieß nichts Gutes, aber Sherrine wußte, daß die ältere Frau nicht wagen würde, dem Mann zu widersprechen. Sie hatte gewonnen.
Wehe dem ersten Diener, der meiner Mutter über den Weg läuft, dachte sie spöttisch.
Prinz Peridaen erhob sich. Sherrine beeilte sich, es ihm nachzutun. Ebenso Anstella. Kas Althume blieb sitzen.
Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit ignorierte Peridaen einen Verstoß gegen die königliche Etikette. Sherrines Neugier wuchs ins Unermeßliche.
Peridaen strich über seinen Bart und sagte: »Morgen abend veranstalten wir zu Ehren der Drachenlords einen Ball. Ich werde Euch Linden Rathan vorstellen. Danach reden wir weiter.« Er reichte Anstella eine Hand. »Komm, meine Liebe, wir fahren zum Palast.«
Sherrine senkte den Kopf und verneigte sich, während der Prinz und ihre Mutter an ihr vorbeigingen. Sie verließen den Raum, ohne sich umzuschauen. Sherrine richtete sich auf.
Kas Althume stand vor ihr.
Als ihr Blick zum ersten Mal direkt den seinen traf, lief Sherrine ein
Weitere Kostenlose Bücher