Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Für sie war die Bruderschaft lediglich ein Weg zur Macht.
Sie dachte an den Moment, als sie den Drachenlord zum ersten Mal gesehen hatte. Trotz des komischen Muttermals an seiner Schläfe war er ein wirklich gutaussehender Mann. Eine Affäre mit ihm könnte amüsant sein. Und ihn den anderen Mädchen am Hof wegzuschnappen! Der Gedanke entzückte sie.
Leider konnte sie ihn nicht in die Tat umsetzen. Ihre Mutter wäre entsetzt.
Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür riß sie aus den Träumen. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet; Tandavi spähte ins Zimmer.
»Verzeiht, Mylady«, begann das Zimmermädchen, »ich dachte, ich wäre vor Euch zurück.«
Sherrine war nicht danach zumute, verständnisvoll zu sein. »Wie kannst du es wagen, mein Schlafgemach in einem solchen Zustand zu hinter …« Sie verstummte, als von unten ungewohnte Geräusche nach oben drangen. Stirnrunzelnd versuchte sie, etwas davon zu verstehen.
Die Stimme des Hausdieners, überrascht, aber respektvoll; das Klacken von Stiefelabsätzen auf dem Fliesenboden – es sind mehrere Männer, dachte sie – und das leise Rascheln von Satinschuhen; im Salon ertönte eine tiefe Stimme, dann eine Frauenstimme, die sie sofort erkannte.
Was macht Mutter hier im Stadthaus? Sie wohnt doch bei Prinz Peridaen. Wieso ist sie nicht dorthin gegangen? O Götter, sagt nur, daß sie sich gestritten haben und sie nun wieder hier einziehen will.
Verärgerung stieg in ihr auf. Seit ihre Mutter im Prinzenpalast auf der anderen Seite des Uildodd wohnte, war Sherrine uneingeschränkte Herrin im Stadthaus der Colranes. Mittlerweile betrachtete sie es als ihr Eigentum. Es schmeckte ihr nicht, die Kontrolle nun wieder an ihre Mutter abtreten zu müssen. Und nichts weniger würde ihre Mutter erwarten.
Die anderen Stimmen … Sie glaubte, erraten zu können, um wen es sich handelte. Eine Zusammenkunft also, bevor sie in den Palast weiterfuhren.
Und mit den Drachenlords in Casna konnte es für ihre Mutter, Prinz Peridaen und seinen stets präsenten Großhofmeister nur einen Grund für eine Zusammenkunft geben.
Dies war eine Angelegenheit der Bruderschaft.
Und sie hielten es nicht für nötig, sie mit hinzuzuziehen – in ihrem eigenen Haus!
Sherrine grub ihre Fingernägel in die Handflächen, wütend wegen der ihr zuteil werdenden Geringschätzung. Dann lächelte sie, ein bloßes Auseinanderziehen ihrer Mundwinkel. Da sie die Herrin dieses Hauses war, sollte sie die charmante Gastgeberin spielen, oder?
Sherrine winkte Tandavi heran. »Hole mir eine Schüssel kaltes Wasser und ein frisches Kleid. Ich muß meine Gäste begrüßen.«
Während er zu dem Stadthaus geführt wurde, das einer der cassorischen Adligen ihm für seinen Aufenthalt zur Verfügung stellte, vergegenwärtigte sich Linden noch einmal die Dinge, die sie bisher wußten.
Einer der Thronanwärter war Prinz Peridaen, der Bruder der verstorbenen Königin. Er war eine Zeitlang nicht hiergewesen, sondern hatte Pelnar bereist und war erst wenige Tage nach dem Tod der Königin zurückgekehrt.
Gute zeitliche Abstimmung, dachte Linden spöttisch. Sicherlich war dies seinem Rivalen Beren, dem anderen Onkel des jungen Prinzen Rann und zugleich Herzog von Silbermärz, äußerst ungelegen gekommen. Denn Berens vor zwei Jahren verstorbener Zwillingsbruder war der Gatte der verblichenen Königin gewesen.
Bei normalem Lauf der Dinge hätte Prinz Peridaen die Regentschaft zugestanden. Doch scheinbar besaß Beren eine schriftliche Ermächtigung der verstorbenen Königin, die ihm im Falle ihres Ablebens den Thron zusprach.
Bis zu Königin Desias Tod hatte keines der Mitglieder des Cassorischen Rates von dem Schriftstück gewußt. Doch aus dem wenigen, das er bislang erfahren hatte, hörte er heraus, daß die meisten Ratsmitglieder es für echt hielten.
War Berens frühzeitige Ernennung also eine weise Vorsichtsmaßnahme der Königin gewesen? Oder trieb hier jemand ein falsches Spiel?
Sherrine ging zum Arbeitszimmer, gefolgt von einem Diener, der auf einem Tablett eine Flasche Wein und vier Silberkelche trug. Hinter der Tür klangen Stimmen. Ohne zu zögern, öffnete Sherrine sie und trat ein.
Sie schritt mit hoch erhobenem Haupt über die gemusterten Steinfliesen zum Tisch, der das schmal geschnittene Zimmer dominierte. Überrascht – und verärgert – schauende Gesichter wandten sich zu ihr um. Sie hatte richtig geraten, wer gekommen war: ihre Mutter, Prinz Peridaen und Großhofmeister Kas Althume. Bevor einer der
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