Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
Jhanun nachdenklich.
Nur wer verborgen ist, bringt das Ende des Phönix. Aber vier werden euch den Thron geben …
Schade, daß das Mädchen bei diesen Worten gestorben war; es wäre nützlich gewesen, mehr zu hören. Wie konnte einer gefährlicher sein als vier? Er würde nichts mehr erfahren, er mußte mit dem zurechtkommen, was er hatte. Das rote Papier zischte, als er mit dem Daumennagel über eine Falte fuhr.
Jhanun sagte: »Der Phönix muß weiterleben. Du wirst diese widernatürlichen Geschöpfe ins heilige Reich locken. Du kennst die Prophezeiung; du weißt, was getan werden muß, und wie.«
Wenn man der Prophezeiung folgte, würden diese schrecklichen Geschöpfe hierherkommen, ganz gleich, was sie unternahmen. Er würde einfach dafür sorgen, daß dies auf die für ihn vorteilhafteste Weise geschah.
Drehen, falten, glätten, falten.
Baisha lächelte in genau jenem Maß, das ein bevorzugter Diener sich gegenüber seinem Herrn erlauben kann. Er drehte die Hände, die auf den Oberschenkeln lagen, mit den Handflächen nach oben. Sie waren leer. Dann preßte er die Handflächen zusammen und hob die Hände, um mit den Fingerspitzen die Stirn zu berühren. Danach legte er sie wieder mit den Handflächen nach oben in den Schoß.
Diesmal lag eine Silbermünze in jeder Hand.
Der Jehangli-Adlige nickte verständnisvoll: Die feindlichen Geschöpfe würden betrogen werden. »Bist du sicher, daß sie kommen?« fragte Jhanun.
»Ja«, erwiderte Baisha. »Sie werden kommen, diese edlen Narren.«
»So soll es sein.« Er betrachtete diesen Mann, einen seiner drei treusten und vertrautesten Diener.
Helle Haut, nun leicht gelblich, faltig und gezeichnet; ein kahler Kopf mit einem dünnen, weißen Haarkranz, gebleicht vom mächtigen Phönix der Sonne. Tatsächlich ein Baisha, ein Fremder.
Der Jehangli-Adlige fuhr fort: »Ich habe dich aus der Sklaverei erhoben. Ich habe dich mit dem Saum meines Gewandes bedeckt, obwohl du nicht zu den Kindern des Phönix gehörst. Ich habe dir gegeben, was dein eigenes Volk dir verweigerte. Nun stelle ich dir diese Aufgabe. Die Reise wird lang und schwer, die Arbeit schwierig. Versage nicht.« Ein letztes Falten, ein letztes Biegen, und ein Papierlotus eines bestimmten Stils lag vor Jhanun.
»Es wird geschehen, Herr. Ich werde Euch die erforderliche Anzahl von Drachenlords bringen.« Baisha erhob sich und verbeugte sich. Seine Augen glühten vor Eifer. »Ich weiß, was sie hierher locken wird. Ich werde nicht versagen.«
Gerührt von solcher Ergebenheit erhob sich Jhanun hinter seinem Schreibtisch, ging um ihn herum, beugte sich leicht vor und berührte die Schulter seines Dieners mit den Fingerspitzen – ein Zeichen größter Gunst. »Ich weiß, daß du dich bewähren wirst. Und nun geh, es gibt viel zu tun.« Er ließ die Hände wieder an die Seiten sinken.
Baisha verbeugte sich abermals, ging die drei erforderlichen Schritte rückwärts, drehte sich dann um und verließ den Raum.
Mit einem zufriedenen Lächeln steckte Jhanun die Hände in die weiten Ärmel.
Es begann.
Shei-Luin fächerte sich Luft zu, während sie den Akrobaten mit ihren dressierten Hunden und Affen zusah, die auf der offenen Fläche zwischen den beiden Lauben eine Vorstellung gaben. Sie saß am Geländer der Lotuslaube, am besten Platz, wie es ihrer derzeitigen Stellung als Lieblingskonkubine entsprach. Ihr Eunuch Murohshei stand links hinter ihr, damit die geringeren Frauen ihr nicht zu nahe kamen.
Die Lotuslaube und ihr Gegenstück, die Laube der Drei Goldenen Irisse, standen im Herzen des Gartens des Ewigen Frühlings. Hier wurde es niemals Winter; die Blätter der Pflaumen-und Pfirsichbäume welkten nie von der Kälte, das helle Grün des Grases wich niemals Gelb- oder Brauntönen. Die Macht des Phönix regierte hier, ein Geschenk an seinen königlichen Favoriten, den Phönixkaiser des Himmels. So behaupteten zumindest die Priester, die hier bei den Sonnenwenden ihre Rituale vollzogen.
Auf einer Seite saßen die Singvögel des Gartens, eine Gruppe von kleinen Jungen und Eunuchen, die wegen der unglaublichen Reinheit und Schönheit ihrer Stimmen ausgewählt worden waren und deren einzige Aufgabe darin bestand, für den Kaiser zu singen, wann immer er den Garten aufsuchte. Sie schwiegen nun, wenn man von gelegentlichem Kichern absah, während sie den Akrobaten zusahen. Sie waren immerhin nichts anderes als Jungen.
Shei-Luin verbarg ein Lächeln hinter ihrem Fächer, als sie zu den Kindern hinschaute.
Weitere Kostenlose Bücher