Drachenreiter
Schwefelfell kratzte sich den Bauch. Ihr Fell juckte scheußlich unter den Menschensachen. »Es soll das höchste sein. Das höchste Gebirge der Welt. Irgendwo mittendrin soll eine Bergkette liegen, der Saum des Himmels. Hast du davon schon mal gehört?«
»Ah, darum geht's. Der Saum des Himmels, so, so.« Grauschwanz sah das Koboldmädchen neugierig an. »Das Tal über den Wolken, Heimat der Drachen. Nicht einfach.« Er drehte sich um und hämmerte emsig auf der Tastatur herum. »Also, eigentlich gibt es diesen Ort gar nicht«, sagte er. »Aber man hört so einiges. Wieso interessiert ihr euch dafür? Ein Koboldmädchen und ein Menschenjunge! Man erzählt sich, dass selbst die Drachen längst vergessen hätten, wo der Saum des Himmels liegt.«
Ben machte den Mund auf, aber Schwefelfell ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Der Mensch hat nichts damit zu tun«, sagte sie. »Ich bin mit einem Drachen unterwegs um den Saum des Himmels zu finden.«
»Ein Drache?« Erstaunt sah Gilbert Grauschwanz Schwefelfell an. »Wo hast du den denn versteckt?«
»In einer alten Fabrik«, sagte Ben, bevor Schwefelfell den Mund aufbekam. »Nicht weit von hier. Da ist er in Sicherheit. Kein Mensch hat sich seit Jahren dort sehen lassen.«
»Aha!« Gilbert nickte. Nachdenklich wiegte er den weißen Kopf.
»Was ist denn nun?«, fragte Schwefelfell ungeduldig. »Weißt du, wo der Saum des Himmels ist? Kannst du uns sagen, wie wir einigermaßen sicher dort hinkommen?«
»Langsam, langsam«, antwortete die Ratte und zwirbelte sich den Bart. »Wo der Saum des Himmels ist, weiß niemand. Über den gibt es nur ein paar vage Gerüchte, nicht mehr. Aber das höchste Gebirge der Welt ist ohne Zweifel der Himalaja. Allerdings - für einen Drachen eine sichere Reiseroute dorthin zu finden, das ist wirklich eine schwierige Aufgabe. Drachen«, er kicherte, »Drachen sind nicht gerade unauffällig, wenn ihr versteht, was ich meine. Und ihre Hörner und Krallen sind sehr begehrt. Ganz abgesehen davon, dass ein Mensch, der einen Drachen erlegt, wochenlang im Fernsehen auftreten könnte. Ich gebe zu, es würde mich selber reizen, mir deinen Freund einmal anzusehen, aber ...«, er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinem Computer zu, »... ich gehe nie weiter als bis zum Hafen. Ist mir viel zu riskant bei all den Katzen, die herumlaufen. Und was es da sonst noch alles gibt«, er verdrehte die Augen, »man glaubt es ja nicht: Hunde, trampelnde Menschenfüße, Rattengift! Nein, danke.«
»Aber ich dachte, du warst schon überall auf der Welt?«, fragte Schwefelfell erstaunt. »Rosa hat erzählt, du bist eine Schiffsratte. «
Verlegen zupfte Gilbert sich den Schnurrbart. »Bin ich, ja, ja. Habe das Handwerk bei meinem Großvater gelernt. Aber schon beim Ablegen von so einem Kahn werde ich seekrank. Bei meiner ersten Fahrt bin ich noch im Hafen von Bord gesprungen. Ich bin zurück ans Ufer geschwommen und habe nie wieder eine von diesen schwankenden Sardinendosen betreten. So!« Er beugte sich so weit vor, dass seine spitze Schnauze gegen den Bildschirm stieß. »Was haben wir denn da? Der Himalaja. Die Heimat des Schnees, wie er auch genannt wird. Das Dach der Welt, ja. Da habt ihr eine weite Reise vor euch, Freunde. Folgt mir.« An einem Bindfaden, der vom Schreibtisch quer durch den Raum gespannt war, hangelte Gilbert Grauschwanz sich zu dem großen Globus hinüber. Er hockte sich oben auf den schweren Holzständer und gab der Erdkugel einen Schubs mit den Hinterpfoten. Quietschend drehte sie sich ein Stück, bis Gilbert sie mit dem Fuß anhielt.
»So«, murmelte er. »Wo haben wir es denn?« Ben und Schwefelfell guckten ihn neugierig an. »Seht ihr das weiße Fähnchen da?«, fragte die weiße Ratte.
»Etwa dort befinden wir uns im Moment, der Himalaja aber ...«, Gilbert hangelte sich über den Ständer und tippte auf die andere Seite der Erdkugel, »... der Himalaja befindet sich hier. Der Saum des Himmels soll, so heißt es jedenfalls in den alten Geschichten, irgendwo in seinem westlichen Teil liegen. Leider ist, wie ich euch schon sagte, niemandem Genaueres bekannt und das Gebiet, von dem wir sprechen, ist unvorstellbar groß und äußerst unzugänglich. Nachts wird es dort bitterkalt und tags«, er grinste Schwefelfell an, »tags wirst du in deinem Fell wahrscheinlich ziemlich ins Schwitzen kommen.«
»Verdammt weit weg«, murmelte Ben.
»O ja, in der Tat!« Grauschwanz beugte sich vor und zeichnete
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