Drachenreiter
Fliegenbein?«, schrie Schwefelfell. »Er wird dich fressen!«
Nesselbrand drehte sich grunzend um und schnappte erneut nach Fliegenbeins Beinen. Wieder lenkten Lung und Maja ihn ab, schlugen die Tatzen auf seinen Panzer, aber Nesselbrand schüttelte sie ab wie lästige Fliegen. Ben blieb vor Verzweiflung fast das Herz stehen. Für einen Augenblick kniff er einfach die Augen zu. Da hörte er plötzlich ein Summen.
Die Ratte kam.
Ihr Flugzeug raste auf Nesselbrands gepanzerten Rücken zu. Das Dach des Cockpits klappte auf und Lola lehnte sich heraus.
»Los, Hummelkuss, rein mit dir!«, schrie sie. Mit einem halsbrecherischen Manöver flog sie an den zappelnden Fliegenbein heran.
»Spring, Fliegenbein!«, rief Lung. »Spring!«
Er krallte die Tatzen in Nesselbrands gepanzerten Nacken um ihn ein paar kostbare Sekunden von Fliegenbein abzulenken. Als der goldene Drache fauchend nach Lung schnappte, ließ der Homunkulus die Zacke los, an der er sich festklammerte - und plumpste auf den Rücksitz von Lolas Flugzeug. Sofort gab die Ratte wieder Gas und das Flugzeug schoss mit offenem Verdeck und dem zitternden Fliegenbein hinauf zur Höhlendecke.
Nesselbrand brüllte so laut, dass die Kobolde sich die Pfoten auf die empfindlichen Ohren pressten. Fauchend richtete der Goldene sich wieder auf und schlug nach den beiden Drachen. Haarscharf wischten seine Krallen an Majas Flügeln vorbei. Aber statt zu fliehen fuhr die Drachin wie eine wütende Katze auf ihn herab. Sie öffnete ihr Maul - und spuckte blaues Feuer.
Lung kam von der anderen Seite. Eine gewaltige Flamme schoss aus seinem Schlund auf Nesselbrands Kopf hinab. Majas Feuer hüllte den goldenen Rücken ein, züngelte Nesselbrands Schwanz entlang, leckte an seinen Beinen.
Der goldene Drache fletschte die Zähne und lachte. Er lachte so laut, dass Steine von der Höhlendecke regneten.
Drachenfeuer.
Wie oft hatte es an ihm geleckt! Verdampfen würde es an seinem Panzer. Seine Kälte würde die blauen Flammen fressen, und wenn die beiden Drachen dann erschöpft und mutlos waren, konnte er, Nesselbrand, sie aus der Luft pflücken wie hilflose Fledermäuse. Er grunzte vor Vorfreude und leckte sich die Lippen. Da spürte er plötzlich, dass etwas seine Stirn herunterlief. Etwas tropfte in seine Augen. Unwillig hob er die Pranke, um es fortzuwischen - und erstarrte.
Seine Krallen verformten sich. Seine Schuppen sahen aus wie welkes Laub. Nesselbrand blinzelte. Das, was von seiner Stirn tropfte und ihm die Sicht nahm, war flüssiges Gold.
Wieder kamen die Drachen auf ihn zugeschossen. Wieder leckte ihr blaues Feuer an ihm, brannte auf seinen Gliedern. Nesselbrand stierte an sich herunter. Sein Panzer verwandelte sich in zähen goldenen Brei. Entsetzt brüllte Nesselbrand auf und schlug nach den blauen Flammen. Gold spritzte von seinen Pranken. Nesselbrand fauchte und keuchte. Wieder kamen die Drachen geflogen. Er schnappte nach ihnen und rutschte aus in einer Pfütze aus flüssigem Gold.
Da stieg zum ersten Mal in seinem langen, bösen Leben Angst in ihm auf, schwarze, heiße Angst. Gehetzt sah er sich um. Wohin konnte er fliehen? Wohin, um dem Feuer zu entgehen, das seinen Panzer fraß? Immer heißer wurde ihm, heißer und heißer. Seine Kraft schwand mit seinen Schuppen. Er musste ins Wasser. Zurück zum Wasser.
Nesselbrand stierte auf den Tunnel, durch den er gekommen war, vor endlos langer Zeit, als er noch Nesselbrand, der Goldene, war, Nesselbrand, der Unbesiegbare. Aber vor dem Tunnel kreisten die silbernen Drachen und immer noch loderte das blaue Feuer aus ihren Mäulern und ließ seinen kostbaren Panzer zu Brei zerschmelzen. Nesselbrand duckte sich. Grunzend versuchte er die Pranken hochzureißen, aber sie klebten fest in den goldenen Pfützen, die größer und größer wurden. Und Nesselbrand spürte, wie sein Herz zerbrach.
Weißer Dampf quoll aus seinem Maul, eiskalt und feucht. Die Kälte wich zischend aus seinem Körper, bis er zusammenfiel wie ein löchriger Ballon. Der Eisdampf waberte durch die Höhle und hing in Wolken über den versteinerten Drachen.
Lung und Maja hielten inne und schwebten regungslos in dem weißen Dunst. Es wurde kalt in der Höhle, sehr kalt. Ben und Schwefelfell drängten sich fröstelnd aneinander. Mit zusammengekniffenen Augen blickten sie nach unten. Aber der Dunst verbarg Nesselbrand und es war kaum mehr von ihm zu sehen als ein geduckter Schatten.
Zögernd tauchten Lung und Maja durch die kalten Wolken hinab.
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