Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
eingeklemmt. Die Keule wurde zum letzten Schlag geschwungen, der Jims Schädel zertrümmern sollte. Aber er hatte sich irgendwie freigewunden, war direkt zwischen die Beine seines Gegners geraten; und der Kampf ging weiter.
Dann und wann erhaschte Jim während des Kampfes kurze, kaleidoskopartige Ausschnitte von den Schlachten, die um ihn herum tobten: Brian, eingewickelt von dem blinden Körper des Wurms, dessen Augenfühler inzwischen abgehackt waren, kämpfte schweigend darum, seinen Schwertarm und sein Schwert zu befreien, die durch die Umschlingung des Wurms an seinen Körper gepreßt wurden. Oder ein wirrer, brüllender Knäuel aus flatternden, ledrigen Flügeln und schlangenartigen Körpern tauchte kurz in Jims Blickfeld auf: Smrgol, Bryagh und der Teichdrache. Ein paarmal erhaschte Jim auch einen flüchtigen Blick auf Carolinus, der immer noch aufrecht stand, den Stab in der Hand, den langen weißen Bart vorne über dem Gewand wallend, wie ein alter Seher in der Stunde von Armageddon. Dann drängte sich der unförmige Körper des Unholds wieder dazwischen, löschte alles andere aus, und für Jim existierte nur noch, was direkt vor ihm war.
Der Tag ging zu Ende. Vom Meer her drückte Nebel landeinwärts und schwebte in kleinen Streifen und Fetzen über das Schlachtfeld. Jims Körper schmerzte, und seine Flügel waren schwer wie Blei. Aber der ewig grinsende Unhold und seine schwingende Keule schienen weder schwächer noch langsamer zu werden. Jim zog sich einen Augenblick in die Luft zurück, um Atem zu schöpfen; in dieser Sekunde hörte er den Ruf einer Stimme.
»Die Zeit ist kurz!« rief es in brüchigen Tönen. »Unsere Zeit läuft ab. Der Tag ist beinahe vorbei!«
Es war Carolinus' Stimme.
Niemals zuvor hatte Jim sie so verzweifelt gehört. Sobald er sie erkannte, fiel ihm auf, daß sie deutlich an sein Ohr gedrungen war – und daß schon seit einiger Zeit auf dem Damm alles ruhig war, abgesehen von ihm selbst und dem Unhold.
Er war den Abhang hinuntergetrieben worden bis zu der Stelle, wo der Kampf begonnen hatte. Seitlich von Jim hingen die abgerissenen Enden von Blanchards Zügel schlaff an der in die Erde gesteckten Lanze, an die Brian das Pferd gebunden hatte, ehe er auf den Wurm losgegangen war. Ein Stück neben dem Lanzenschaft – von dem sich das verängstigte Pferd offensichtlich losgerissen hatte – stand Carolinus, schwer auf seinen Stab gestützt, sein altes Gesicht war eingesunken, es sah beinahe mumifiziert aus, so als wäre fast alles Leben aus ihm gewichen.
Jim wandte sich zurück und sah, daß der Unhold ihn schon beinahe wieder erreicht hatte. Die schwere Keule holte aus, dunkel und gewaltig schien sie im sterbenden Licht des Tages. Jim empfand in seinen Gliedern und Flügeln eine Schwäche, die ihn hinderte, rechtzeitig auszuweichen; und mit aller Kraft nahm er sich zusammen, sprang statt dessen unter der niedersausenden Waffe des Ungeheuers auf und warf sich in dessen Arme, die den Umfang von Kanonenrohren hatten. Die Keule glitt an Jims Rückgrat ab, und er fühlte, wie ihn die Arme des Unholds umschlangen, wie die doppelte Triade der knochendicken Finger nach seinem Hals suchte. Er war gefangen, aber sein Ansturm hatte den Unhold umgeworfen. Miteinander rollten sie auf dem sandigen Boden hin und her, der Unhold nagte mit seinen spitzen Zähnen an Jims Brust und bemühte sich, ihm das Rückgrat zu brechen oder den Hals umzudrehen, während Jim ziellos mit dem Schwanz um sich schlug.
Als sie gegen die aufgerichtete Lanze rollten und sie auseinanderbrachen, bekam der Unhold Jims Hals zu fassen und begann, ihn herumzudrehen, wie in Zeitlupe den Hals eines Huhns.
Eine wilde Verzweiflung durchströmte Jim. Er war von Smrgol gewarnt worden, es nie zuzulassen, daß der Unhold ihn mit den Armen umschlang. Er hatte diesen Rat mißachtet, und jetzt war er verloren, war die Schlacht verloren. Bleib weg von ihm! hatte Smrgol gewarnt, gebrauche deinen Verstand …! Aber plötzlich flackerte in Jim die wilde Hoffnung auf eine vage Chance auf. Sein Kopf war nach rückwärts über die Schulter gedreht, und er konnte nur den immer düsterer werdenden Nebel über sich sehen; aber er hörte auf, sich gegen den Unhold zu wehren und tastete mit seinen Vorderpranken umher.
Eine Ewigkeit lang fand er nichts – dann stieß etwas Hartes gegen seine rechte Vorderklaue, ein Schimmer von blankem Metall blitzte vor seinen Augen auf. Er ergriff, was er da berührt hatte, klammerte sich so fest daran,
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