Drachenritter 02 - Der Drachenritter
drohende Haltung einnahmen – und daß die von ihnen ausgehende Bedrohung durchaus real war.
Irgendwo unterwegs hatten die kleinen Fische, die denen glichen, welche Melusine im Palast bedienten, begonnen, sich um ihn zu versammeln, von den Sauerstoffblasen, die er verströmte, offenbar auf Distanz gehalten. Zum Glück sorgte die Magie, die sie entstehen ließ, auch dafür, daß sie in seiner Nähe blieben, anstatt an die Oberfläche zu steigen und ihn ungeschützt dem Seewasser und seinen Bewohnern auszusetzen.
Trotz ihrer geringen Größe waren diese Fische alles andere als freundlich gesinnt. Zunächst beachtete er sie nicht, doch als er sich dem anderen Ufer näherte, erhielten sie Verstärkung von erheblich größeren Fischen. Als es um ihn herum allmählich hell wurde und er spürte, daß die Oberfläche höchstens noch fünf, sechs Meter entfernt war, war er nicht nur von den kleinen Fischen, sondern auch von Hechten vom Kaliber des ein Meter dreißig langen Exemplars umgeben, das Melusine auf ihrem Ausflug begrüßt hatte.
Es stand völlig außer Frage, daß ihm die Hechte übel wollten. Sie schnappten nach der Luftblase, konnten oder wollten jedoch nicht darin eindringen. Jim überlegte flüchtig, ob sie wohl auf magische Weise von ihm ferngehalten wurden, oder ob es daran lag, daß die Blase aus purem Sauerstoff bestand. Wäre das Gas vom umliegenden Wasser nicht befeuchtet worden, wäre ihm das Atmen bestimmt schwergefallen. Aber auch so fühlten sich Mund, Rachen und Nase zunehmend trocken an.
Aber jetzt war die Oberfläche nicht mehr fern. Kurz darauf brach sein Kopf aus dem Wasser, und er sah, daß es bis zum Ufer nur mehr sechs Meter waren. Während er darauf zuwatete, haftete die Blase nach wie vor an dem immer noch unter Wasser befindlichen Körper, bis er schließlich zu einer felsigen Untiefe gelangte und sich mit einem Schritt ganz aus dem See befreite. Endlich stand er am Ufer, vom Scheitel bis zur Sohle unnatürlich trocken, während hinter ihm ein Schwarm enttäuschter Hechte wütend am Ufer entlangstrich.
Als erstes verspürte er überwältigende Erleichterung, die jedoch alsbald Besorgnis Platz machte. Schließlich war Melusine kein gewöhnlicher Mensch. Sie war ein Elementargeist – oder wenn ihr Vater tatsächlich der König von Albanien gewesen war, vielleicht auch nur ein halber.
Jedenfalls ließ sich unmöglich vorhersagen, wie schnell sie sich von der großen Menge Schnaps erholen würde. Auch über ihre Reaktion konnte er nur Mutmaßungen anstellen. Bestimmt würde sie nicht glücklich darüber sein, daß Jim sie ausgetrickst hatte und geflohen war. Die Frage war, was würde sie tun?
Würde sie einfach grollend im See hockenbleiben und darauf hoffen, es ihm irgendwann heimzahlen zu können? Oder würde sie versuchen, ihm zu folgen und ihn wieder einzufangen? In Anbetracht all dieser Ungewißheiten war es das klügste, diese Gegend so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.
Ursprünglich hatte er vorgehabt, solange zu Fuß weiterzugehen, bis er so weit vom See entfernt war, daß Melusine ihn als Drache nicht mehr würde wahrnehmen können. Aber wenn sie immer noch ihren Rausch ausschlief, gab es keinen Grund, weshalb er sich nicht gleich in die Lüfte erheben und davonmachen sollte. Er zog sich aus, schnürte wieder sein Bündel und hängte es sich so lose um den Hals, daß es ihm nicht die Luft abschnüren würde, wenn er wieder ein Drache wäre – dann verwandelte er sich.
Er stellte fest, daß es eine große Erleichterung für ihn bedeutete, wieder ein Drache zu sein. Mit der neuen Gestalt stellten sich auch eine Reihe von Emotionen und Verhaltensweisen ein, wie sie für Drachen typisch waren. Während er als Mensch über mehr Phantasie verfügt hatte, als ihm womöglich guttat, so besaß er als Drache erheblich weniger davon, so daß seine Sorge hinsichtlich Melusines Reaktion merklich geringer wurde; außerdem hatte er jetzt wesentlich mehr Vertrauen in seine Größe, seine Stärke und seine Fähigkeit, auf sich achtzugeben.
Auf einmal kam Jim der Gedanke, daß er als Drache der Sichtweise der Menschen des Mittelalters viel näher war wie als Mensch.
Jedenfalls war es an der Zeit weiterzufliegen. Er sprang in die Luft, breitete die Flügel aus und gewann rasch an Höhe.
In etwa sechshundert Metern Höhe stieß er auf günstige thermische Winde und wandte sich in die ungefähre Richtung, in der Amboise und die Straße nach Orleans lagen, in dessen Nähe sich
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