Drachenritter 02 - Der Drachenritter
wieder in einen Drachen verwandeln – Drachen machte es nämlich nichts aus, im Freien zu schlafen, da sie gegen Temperaturwechsel und gelegentliche Regenschauer weitgehend unempfindlich waren –, in Ruhe schlafen und im Morgengrauen wieder Menschengestalt annehmen, um im ersten Gedränge das Tor zu durchqueren.
Es war wirklich keine schlechte Idee, mit dem ersten Besucherschwall das Tor zu passieren. Zu diesem Zeitpunkt würden die Wachposten eine Menge Leute zu überprüfen haben und wären wahrscheinlich bemüht, sie so rasch wie möglich abzufertigen, Schmiergeld oder Steuern von ihnen einzustreichen und sie einzulassen.
Jim hatte sich mehrere Tage lang nicht rasiert, und der Bart würde seine Geschichte vom Ritter, der unterwegs sein Pferd verloren hatte, um so glaubhafter erscheinen lassen. Vielleicht sollte er berichten, er sei auf ein wildes Tier aufmerksam geworden, das er habe über den Haufen reiten und mit Schwert oder Lanze zur Strecke bringen wollen; und während er abseits der Straße diesem Tier nachgesetzt sei, habe sich sein Pferd ein Bein gebrochen, und ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als es zu töten.
Folglich hielt er Ausschau nach einer Ansammlung von Bäumen, und als er eine entsprechende gefunden hatte, landete er dort. Er verwandelte sich wieder in Sir James Eckert, den Drachenritter, und wanderte weiter die Straße entlang Richtung Amboise, das etwa fünf Meilen entfernt sein mußte, wie er aus der Luft geschätzt hatte.
Die Straße spottete jeder Beschreibung. Zu dieser Jahreszeit war sie trocken und staubig, dafür aber tief zerfurcht und mit Schlaglöchern übersät, denen vielleicht er oder ein Pferd ausweichen konnte, die einem Karren jedoch Probleme bereitet hätten. Gleichwohl konnte man wohl davon ausgehen, daß auf dieser Straße, die im weiteren Verlauf nach Paris führte, regelmäßig auch Karren unterwegs waren.
Dennoch kam er langsamer voran, als er erwartet hatte. Schließlich fand er sich damit ab, daß er das Stadttor nicht mehr rechtzeitig erreichen würde. Allmählich begann er sich nach einem Ort umzusehen, wo er als Drache die Nacht würde verbringen können, und bemerkte, daß die Straße unmittelbar vor ihm in einen ziemlich dichten Wald abbog und sich auf einmal in einem viel besseren Zustand befand. Offenbar hatte man diesen Abschnitt ausgebessert.
Er war bereits ein Stück weit in den Wald eingedrungen und überlegte gerade, daß dies genau der richtige Ort sei, um es sich für die Nacht bequem zu machen, als er vor sich ein Geräusch vernahm, das an das Läuten einer Kirchenglocke erinnerte.
Er war immer noch zu weit von Amboise entfernt, als daß der Ursprung des Läutens eine der Kirchen hinter den Stadtmauern hätte sein können. Neugierig geworden, beschleunigte er seinen Schritt, denn die ebenere Straße entschädigte dafür, daß hier im Schatten der belaubten Bäume die Tiefe von Furchen und Schlaglöchern schwerer einzuschätzen war als im abendlichen Sonnenschein.
Die Glocke läutete noch immer. Mittlerweile war sie ganz nah, und die Bäume wichen allmählich auseinander. Im nächsten Moment trat Jim unter den Bäumen hervor und sah sich auf einmal einem Sonnenuntergang gegenüber, dessen rote Strahlen über ein offenes Feld strichen und eine ganze Ansammlung großer Gebäude vergoldeten, die überwiegend aus braunem Stein erbaut waren. Eine Gruppe von Männern in braunen Gewändern, die Hände in den Ärmeln verborgen, begab sich soeben im Gänsemarsch in den mit einem Steildach versehenen Flügel eines dieser großen Gebäude hinein.
An ihrer Spitze ging ein fülliger Mann, der ebenso bekleidet war wie die übrigen, mit einer Kapuze im Nacken und einem gekrümmten Abtstab in der Rechten. Vor ihm ging eine kleinere, etwas abgesonderte Gestalt, die einen Stab mit einem Kruzifix trug, das aus Gold zu sein schien, denn es funkelte im Licht der untergehenden Sonne vor der dunklen Steinmauer des Gebäudes.
Jim blieb stehen. Er erblickte ein Kloster, dessen Mönche sich soeben anschickten, zur Zeit des Abendgebets eine besondere Messe zu begehen.
Der Sonnenuntergang, die wuchtigen Gebäude, der schwarze, offene Eingang, die Reihe der sich langsam bewegenden Gestalten und das stetige, langsame Glockenläuten weckten bei ihm ein unerwartet tiefes Gefühl. Die Straße, der er gefolgt war, führte auf die Gebäude zu und bog dann wieder ab. Es war, als seien dieser eine Moment und die ganze Szenerie Sinnbild der Zuflucht vor der grausamen
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