Drachenritter 02 - Der Drachenritter
machen. Etwas, das nur sehr wenige verstehen.«
Abermals hatte er im Feuer herumgestochert, doch nun legte er den Stock weg und blickte seine Zuhörer der Reihe nach an.
»Wenn ein gewöhnlicher Mensch an einen Magier denkt«, sagte er, »dann stellt er sich darunter etwas vor, das nur sehr wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Ein Meistermagier gilt als jemand, der sich mit einer Handbewegung jeden Wunsch erfüllen kann – ohne Mühe und Kosten. Selbst wenn sie damit recht hätten, was nicht der Fall ist, dann lassen sie doch völlig außer acht, was es ihn gekostet hat, überhaupt erst einmal zum Meistermagier zu werden.
Die Großen der Magie«, fuhr er fort, »diejenigen, die man nicht vergißt, wie beispielsweise Merlin und sein Lehrer Bleys, haben sich nicht um ihres persönlichen Vorteils willen mit der großen Kunst der Magie befaßt. Weder Reichtum noch Macht haben sie auf den langen Weg gelockt, der sie zu dem machte, was sie geworden sind. Vielmehr war es einzig und allein dieses wundervolle Etwas, das Magie genannt wird, und zwar in seiner Eigenschaft als Kunst und Wissenschaft.«
Er seufzte schwach, und von irgendwo aus dem Dunkeln wehte ein Luftzug heran, der einen Moment lang mit seinem dünnen, weißen Bart spielte. Der Klang seiner Stimme schien sich nicht zu verändern. Gleichwohl aber meinten die Zuhörer auf einmal, sie aus sehr weiter Ferne zu vernehmen, wie aus einem langen Gang hervor, der sich im Ungewissen verlor.
»Es ist wichtig, daß Ihr – Ihr alle – ein gewisses Verständnis für den Preis entwickelt, den jeder, ob Mann oder Frau, entrichten muß, um ein Meister der Magie zu werden.«
Er hielt inne, hob den Kopf und blickte abermals in die Runde.
»Im Grunde«, sagte er, »umfaßt dieser Preis alles – alles, was der oder die Betreffende in sich trägt, ist der Preis für das, was er oder sie lernt.«
Sein Blick verweilte für einen Moment auf Aragh.
»Von Euch allen«, fuhr er fort, »vermag Aragh die Einsamkeit dieses langen Weges am ehesten zu ermessen. Ihr alle kennt die Einsamkeit, denn den Menschen ist es bestimmt, daß sie, so nahe sie ihren Mitmenschen auch kommen mögen, dennoch in sich abgeschlossen bleiben. Die Einsamkeit des Meistermagiers ist allerdings noch umfassender. Er gleicht dem Einsiedler, der sich in die Wüste zurückzieht, um sich ausschließlich dem zu widmen, was wichtig für ihn ist. Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, was einen Einsiedler dazu bewegen mag?«
Niemand antwortete ihm, das Schweigen aber bedeutete: »Nein«.
»Es ist die Liebe«, erklärte Carolinus. »Die übergroße Liebe zu dem, was ihn auserwählt und seinen Geist und seine Seele in Beschlag genommen hat, so daß sein Sehnen jetzt alle anderen Bedürfnisse übersteigt. So ergeht es uns allen, die wir unser Leben der Magie widmen und die man Magier nennt, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Das, was wir lieben, läßt keinen Raum mehr für andere Dinge. Und deshalb suchen wir uns andere Orte, innerhalb der Welt, doch wiederum auch fern von ihr – zumindest tun dies die meisten von uns.«
Er blickte ins Feuer, hob den Stecken auf und stocherte damit in der Glut, daß die Funken heftig stoben.
»Und irgendwann kommt die Zeit«, fuhr er mit beinahe sanfter Stimme fort, »da auch der Beste von uns sich fragt: War es das wert? War es richtig, daß ich auf alle gewöhnlichen Freuden des Lebens verzichtet habe, um zu lernen, was ich gelernt habe, und um zu begreifen, was ich nun verstehe? Und jedesmal lautet die Antwort: Ja, das war es wert. Aber weil wir vor allem Menschen sind und dies bis zu unserem Tod auch bleiben werden, weicht der Schmerz über das, was wir verloren haben oder was uns unerreichbar war, niemals von uns. Eben dieses Sehnen und Schmachten versuchen die Dunklen Mächte auszunutzen. Das ist wie das Verlangen eines Drachen nach einem noch größeren Schatz oder sein Durst nach immer mehr Wein.«
Er sah zu Secoh auf.
»Ihr kennt diesen Hunger und diesen Durst, Secoh«, sagte er; und Secoh neigte den Kopf. Carolinus blickte Jim an. »Selbst Ihr, James, kennt dieses Verlangen von den Zeiten her, da Ihr die Gestalt eines Drachen innehattet.«
Auch Jim wandte den Blick von diesen blaßblauen Augen ab und sah ins Feuer.
»Das Versprechen der Dunklen Mächte, ihm einen größeren Schatz und soviel Wein zu verschaffen, wie er wollte, ließ Bryagh böse werden«, sagte Carolinus. »Selbst unsere größten Meister verspüren noch dieses Verlangen nach dem, was wir als
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