Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
Schwester vom Erbe so ziemlich aus.«
»Ach ja?« fragte Angie grimmig.
»Ja«, antwortete Jim.
»Nun, das ist wohl nur recht und billig«, sagte Angie. »Der kleine Robert sollte alles bekommen. Schließlich ist er derjenige, der in seiner Baronie Truppen ausheben und sie für den König in die Schlacht führen muß, wenn er erst erwachsen ist, während sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch keinen Finger gerührt hat!«
Jim konnte sich auf keine Frau besinnen, die er in dieser mittelalterlichen Welt kennengelernt und die noch nie in ihrem Leben einen Finger gerührt hätte. Alle Frauen hier schienen geradezu verzweifelt betriebsam zu sein, genauso sehr wie die Männer, wenn nicht noch mehr. Aber er kannte Angie gut genug, um diesen Gedanken nicht ausgerechnet jetzt laut zu äußern. Außerdem mußte er ihr noch eine weitere bittere Pille verabreichen.
»Es ist nur natürlich, daß sie sich um den Jungen kümmert«, fuhr Jim fort. »Wem auch immer die Vormundschaft über den kleinen Robert zugesprochen wird, er wird bis zu dessen Volljährigkeit das Einkommen der Cheneschen Ländereien verwalten. Nun, du hast sicher von ihnen gehört - selbst ein Herzog wäre nicht unzufrieden mit den Einkünften daraus. Ich weiß nicht, aus welchem verrückten Grund der Baron mit nur acht bewaffneten Gefolgsleuten zu der Weihnachtsgesellschaft des Grafen gereist ist - vor allem durch ein Land wie dieses.«
»Du meinst«, sagte Angie, ohne irgend etwas anderes zu beachten, »daß diese Angela das Einkommen aus den Cheneschen Ländereien einstreichen möchte -zumindest während der Vormundschaft?«
»So, wie die Dinge in diesen Zeiten liegen«, meinte Jim, »kann ich mir nicht vorstellen, daß sie nicht daran interessiert wäre.«
Gerade in diesem Augenblick ertönte ein lautes Klopfen an der Tür, gefolgt von einer Pause und zwei weiteren furchtsameren Klopfversuchen - als wäre der Person vor der Tür plötzlich eingefallen, wer sich in den Räumen aufhielt, in die sie Einlaß begehrte.
»Ja?« sagte Jim mit erhobener Stimme.
Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und das besorgte Gesicht Brians erschien.
»Jim - Angela!« begrüßte er sie. »Jim, Carolinus hat mich gebeten, Euch zu überreden, herunterzukommen und Euch zu den anderen Gästen im Palas zu gesellen. Alle anderen sind schon da.«
Jim erhob sich.
»Ja, dann gehe ich wohl besser auch«, sagte er zu Angie. »Dir wird es niemand verübeln, wenn du die meiste Zeit hier oben verbringst, Angie. Aber von mir erwartet man, daß ich mich unter die übrigen Gäste mische.«
Er ging zur Tür.
»Hm...« Geistesabwesend stand Angie auf und trat auf den inneren Raum zu. Sie verschwand mit nachdenklicher Miene hinter dem Wandvorhang, der den Eingang verhüllte.
Im Palas tummelten sich, als Jim und Brian eintraten, eine Vielzahl von Herren und Damen, alle Gäste dieser Weihnachtsgesellschaft. Sie waren wie Jim mit der Morgendämmerung aufgestanden, um pflichtschuldigst zur Frühmette zu gehen, dem ersten Gottesdienst des Tages. Danach hatten höchstwahrscheinlich eine ganze Reihe derer, die Jim nun hier sah, dasselbe getan wie er und sich in ihre Zimmer zurückgeschlichen, um noch etwas zu schlafen. Heute um Mitternacht begann das Weihnachtsfest - mit der Christmette -, und er würde daran teilnehmen, nachdem er bereits den größten Teil des Tages gesellig verbracht hatte.
Kurz zuvor, nach dem Morgengottesdienst, waren einige tatkräftigere Gäste auf Wildschweinjagd gegangen und hatten einen kalten Vormittag damit zugebracht, die Wälder mit Hunden zu durchstreifen, ohne auf Wildschweine zu stoßen. Aber trotzdem würden sie, wie Brian berichtete, annähernd vollzählig im Saal des Obergeschosses versammelt sein, so daß fast ausnahmslos alle Geladenen im Augenblick dort anzutreffen waren.
Der Saal war so etwas wie der Wohnraum der Oberschicht des vierzehnten Jahrhunderts. An einer Wand stand ein Tisch, der wie die meisten mittelalterlichen Tische auch zwischen den Mahlzeiten nicht abgeräumt wurde, sondern stets mit Speisen für die hungrige Elite beladen war. Wie alle anständigen Tische des Mittelalters bedeckte ein schneeweißes Leinentuch seine Blöße.
Auf dem Tisch standen im Augenblick eine Reihe von Schüsseln mit Speisen, die unter buchstabengetreuer Einhaltung der Fastenregeln für den Advent zubereitet waren: kein Fleisch, keine Eier und keine Erzeugnisse aus der Milchkammer wie Butter oder Sahne. Aber dafür gab es eine Anzahl frischer
Weitere Kostenlose Bücher