Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
absichtlich falsch vorgesagt.«
» Ach so …? Dann erklär uns doch mal, was so ein Salzstreuer mit dem Musikunterricht zu tun haben kann.«
Wieder lachten alle.
Sofia seufzte, während sie die Erbsen auf dem Teller herumschob, und hoffte dabei, die ganze Meute um sie herum würde sich durch irgendein Wunder in Luft auflösen.
Nach dem Essen stand der Küchendienst an. Und das war sogar noch schlimmer.
Die anderen waren fast schon alle gegangen, als Giovanna zu ihr an den Tisch trat. » Was ist das denn? Was sollen die ganzen Erbsen auf dem Teller?«
Sofia antwortete nicht.
» Na, du bist gut. So viele Menschen auf der Welt hungern und du willst dein Essen einfach wegschmeißen?«
Auch Hungernde ließen bestimmt nicht alles mit sich machen, dachte Sofia bissig, und bei Erbsen mit Sellerie würden die auch streiken. Doch sie erwiderte nichts, stand auf und marschierte in die Küche.
Dieser Ort erinnerte sie immer an die Hölle, eingehüllt in feuchte, klebrige Dunstschwaden, die nach ranzigem Fett und angebrannter Soße rochen. In riesigen Kesseln brodelte ohne Unterlass irgendetwas vor sich hin und die Gasflammen strahlten eine Wahnsinnshitze aus. Außerdem war der Fußboden glitschig, weil die veraltete Spülmaschine undicht war, und mehr als einmal hätte sich Sofia fast den Hals gebrochen. Neben Giovanna arbeitete dort nur eine junge zierliche Schwester, die nie ein Wort sagte, und angesichts des Personalmangels lag es nahe, dass man die Kinder zur Strafe in die Küche schickte.
Als Sofia eintrat, hatte sich der Dunst zum Glück schon fast vollständig aufgelöst. So würde sich der Dampf der Spülmaschine leichter ertragen lassen, dachte sie mit einem Seufzer der Erleichterung. Aber leider funktionierte das Gerät, wie so häufig, heute mal wieder nicht, wie es sollte, und so stand Sofia bald vor einem Berg von Tellern, die sie von Hand spülen musste. Der halbe Nachmittag ging dafür drauf, und als sie die Küche endlich verließ, dröhnten ihr die Ohren von all dem Tratsch, den Giovanna in einem fort in voller Lautstärke über sie ergossen hatte. Fast war sie erleichtert, als sie schließlich in den Gemeinschaftssaal hinüberging, um dort ihre Hausaufgaben zu machen.
Dieser Gemeinschaftssaal war ein großer Raum mit Bänken und zwei langen Tischen, an denen in regelmäßigen Abständen die Kinder saßen und in dem Trubel zu lernen versuchten.
Mit schweißnassem Pullover und Haaren, die nach verbranntem Fett und Spülmittel rochen, setzte sich Sofia. Doch kaum hatte sie ihr Mäppchen aufgezogen, huschte ihr eine Eidechse entgegen. Sofia erstarrte. Dann sprang sie auf und stieß dabei fast zwei andere Heimkinder von der Bank. Unterdessen versuchte das Tierchen zu entkommen und flitzte quer durch den Saal, während die Jungen lachten und die Mädchen angewiderte, spitze Schreie ausstießen. Aus den Augenwinkeln nahm Sofia Marcos Gesicht wahr, der alles zufrieden beobachtete. Sicher steckte er dahinter.
» Also, Sofia, was hast du jetzt wieder angestellt?!« Mit einem Besen bewaffnet, tauchte Giovanna aus dem Nichts aus.
» Ich kann doch nichts dafür.«
» Ja natürlich, du kannst nie was dafür. Aber du bist immer zur Stelle, wenn es irgendein Problem gibt.«
» Ich …« Die Worte erstarben ihr auf der Zunge. Es hatte keinen Sinn, sich zu wehren, darauf zu bestehen, dass es nicht ihre Schuld war. Es fehlte ihr an Respekt und Ansehen, und daher war es nicht verwunderlich, dass sie ständig herumgeschubst wurde. So senkte sie nur den Kopf und ließ die Strafpredigt von Giovanna über sich ergehen, die ihr noch zwei weitere Schichten Küchendienst für den nächsten Tag auferlegte.
Gegen Abend ging Sofia früh aufs Zimmer, warf sich auf ihr Bett und genoss die Stille. Draußen hatte der Herbst die Blätter der hohen Platane goldgelb gefärbt. Der Himmel schimmerte dunkelrot. Sie liebte diese Jahreszeit. Die Tage wurden kürzer, und die Dunkelheit lieferte ihr einen guten Vorwand, sich früh zurückzuziehen, sodass sie länger für sich war und ihren Gedanken nachhängen konnte.
Sie lag auf dem Rücken, starrte die Wasserflecken an der Decke an und verformte sie im Geiste zu fantastischen Wesen, gerade so wie sie es im Sommer auch mit den Wolken machte. Auf diese Weise konnte sie dem grauen Alltag entfliehen, den ständigen Demütigungen, die sie seit dem ersten Tag im Heim begleiteten.
In dieser traurigen Stimmung lag sie da, als Giovanna den Raum betrat.
» Schwester Prudenzia möchte dich
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