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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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selbstverständlich, dass aus Säuglingen Kinder, aus Kindern Jugendliche und aus Jugendlichen Erwachsene werden.
    Er hatte geglaubt, dass blaue Flecken auf kleinen Körpern auf nichts anderes hinweisen als auf einen Sturz oder Stoß.
    Er hatte geglaubt, dass Kinder, die krank werden, auch wieder zu Kräften kommen.
    Die Zerbrechlichkeit des Glücks.
    Die Willkür des Unglücks.
    Nichts war selbstverständlich. Wer das einmal begriffen, nein, dachte Paul, wer diesen banalen, oft so unbedacht dahingesagten Satz als existenzielle Wahrheit erfahren und nicht wieder vergessen hatte, der war für immer zu einem Grenzgänger geworden. Ein Heimatloser. Der konnte Pläne schmieden, Kinder zeugen, Häuser kaufen, Entscheidungen für die Zukunft treffen und wusste doch zur selben Zeit, dass er sich einer Illusion hingab; dass Zukunft lediglich ein Versprechen war, auf das man sich niemals verlassen durfte, dass Sicherheit nie von Dauer sein konnte, sondern nur für kurze, unendlich kostbare Momente existierte.
    Als hinge nicht alles Glück dieser Welt an einem zum Zerreisen gespannten Faden. So dünn, dass die meisten Menschen ihn nicht einmal bemerkten.
    Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen . Mit diesen Worten hatte der Arzt Pauls Faden zerschnitten. Für immer und
ewig, wie sein Sohn es ausgedrückt hätte. Es gab kein Zurück. In diesem Glauben hatte Paul sich eingerichtet. Bis er Christine traf.
    Als wäre Vertrauen etwas für Dumme. Als hätten wir eine Wahl. Das waren die ersten Sätze von ihr, die ihm in Erinnerung blieben. Er hatte sie zunächst nicht ernst genommen. Er hatte sich insgeheim ein wenig gewundert über so viel Naivität bei einer erwachsenen Frau. Bis dahin war er überzeugt gewesen, dass Misstrauen etwas sehr Nützliches war, etwas, das uns schützte und, war es in ausreichendem Maße vorhanden, vor allzu großen Enttäuschungen bewahrte. Sie kamen, so dachte er, aus zwei sehr unterschiedlichen Welten, Christine Wu, die Träumerin, und Paul Leibovitz, der Realist.
    Wie soll ein Mensch vertrauen können, dem das Wichtigste auf der Welt genommen worden war. Über Nacht. Schuldlos und ohne Grund. Der mit ansehen musste, wie rote Blutkörperchen einfach nicht aufhören wollten, sich zu vermehren, wie ihre Zahl stieg und stieg, und es kein Medikament auf der Welt gab, das sie daran hindern konnte? Auf was sollte er sich noch verlassen können? Auf was, Christine?
    Sie hatte ihm diese Frage nicht mit Worten beantwortet. Sie hatte zu ihm gehalten, auch als er sie wegstieß. Sie hatte ihm vertraut, mehr als er sich selbst. Vertrauen kann ansteckend sein, hatte sie ihn gewarnt. Und Recht behalten.
    Â 
    Es war kurz nach Mitternacht. In Yung Shue Wan waren die Stimmen des Abends längst verstummt, die Lichter der meisten Restaurants erloschen, Lamma hatte sich zur Ruhe begeben. Paul öffnete die große Schiebetür zum Garten und trat hinaus. Wie laut die Nacht in den Tropen war. Die Zikaden schnarrten unermüdlich, von einem nahen Tümpel drang das aufdringliche Gurren der Kröten herüber, vor ihm
im Gebüsch raschelte es heftig, eine Rattenschlange auf der Jagd vermutlich. Der Bambus bog sich sanft in einer leichten Brise. Wie oft hatte er diesem gleichmäßigem Knarren und Ächzen gelauscht und war dabei eingeschlafen.
    Normalerweise hätte Christine um diese Zeit längst angerufen. Ihm eine gute Nacht gewünscht. Er hatte sich mehrfach vergewissert, ob sein Telefon eingeschaltet und auf laut gestellt war, ob der Akku noch genug Strom hatte. Er konnte sich an keinen Sonntag erinnern, an dem sie sich nicht mehr gemeldet hatte. Hatte ihr Sohn sie zu sehr in Beschlag genommen? Oder ihre Mutter? Vielleicht hatte sie sich einfach nur für einen Moment aufs Bett gelegt und war vor Erschöpfung eingeschlafen. Er sehnte sich nach ihrer Stimme und hatte mehrfach überlegt, ob er sie anrufen sollte. Aber das wäre nicht das Gleiche gewesen. Er brauchte die Geste.
    Liebeshungrig. Vielleicht hatte sie Recht.
    Er beschloss, ihr eine SMS zu schicken.
    Â 
    Mein Liebes, mein Liebstes,
warum habe ich gar nichts mehr von dir geh
Nein, er wollte ihr keine Vorwürfe machen.
Mein Liebes, mein Liebstes,
wo steckst Du? Ich hätte mich sehr über einen Anr
Auch keine versteckten.
Mein Liebes, mein Liebstes,
schlaf schön. Danke für den Tag. Danke für alles.
Ich liebe dich. Mehr und immer

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