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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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    Â 
    Er zögerte. Fügte ich brauche dich und ich vermisse dich so hinzu. Löschte es wieder. Er wollte nicht bedürftig klingen.
    Paul las den Text noch einige Male; er war nicht geübt im Schreiben von Kurzmitteilungen und wollte kein Missverständnis
riskieren. Schließlich schickte er sie ab, stellte das Telefon aus und fühlte sich gleich wohler. Morgen früh würde sie mit ein paar zärtlichen Sätzen antworten, und der Spuk wäre vorüber.
    Â 
    Es war eine traumlose Nacht. Er schlief gut, länger als gewöhnlich, und als er erwachte, galt sein erster Gedanke Christine. Welch ein Geschenk es war, neben ihr zu wachen, während sie noch schlief. Die Wärme ihres Körpers zu spüren. Die Gleichmäßigkeit ihres Atems.
    Wie wenig es zuweilen braucht, das Glück in seinem Versteck zu finden. Wie oft wir daran vorbeigehen.
    Er griff neben das Bett und schaltete sein Handy ein. Keine Nachricht. Paul spürte plötzlich dieselbe innere Unruhe, die ihn schon am Abend geplagt hatte. Es war zu früh, sagte er sich. Um diese Zeit duschte sie und machte sich fertig für einen langen Tag im Büro. Normalerweise schrieb sie ihm erst aus dem MTR-Zug auf dem Weg nach Wan Chai.
    Er stand auf, band das Moskitonetz zu einem Knoten, ging in die Küche hinunter und setzte Wasser für einen Tee auf. Die Luft war in der Nacht nur wenig abgekühlt, das Thermometer vor dem Fenster zeigte 25 Grad und 88 Prozent Luftfeuchtigkeit an, und es war noch nicht einmal acht Uhr. Paul musste sich beeilen, in Kürze würde die Sonne auf die Dachterrasse scheinen und bald darauf so viel Kraft haben, dass man Schutz vor ihr suchen musste und an Tai Chi nur noch im Schatten zu denken war. Die Übungen dauerten immer genau eine Stunde. Sie halfen ihm, nach schlechten Nächten in den Tag zu finden, gaben ihm, zumindest für ihre Dauer, ein Gefühl von fast heiterer Gelassenheit.
    Heute nicht. Seine Ausführungen waren ungenau und seltsam stockend, die Hüfte viel zu steif, die Schultern verspannt.
Die »Einzelne Peitsche« und den »Kranich, der seine Flügel ausbreitet« begann er sogar von vorn, aber ein harmonischer Bewegungsablauf wollte nicht gelingen.
    Im Laufe des Tages sprachen sie nur kurz miteinander. In Christines Büro war es noch hektischer als sonst, am Abend hatte ihr Sohn hohes Fieber, er brauchte seine Mutter.
    Natürlich hatte Paul dafür Verständnis, sie musste sich weder erklären noch entschuldigen.
    Am Dienstagmorgen kam eine SMS, in der sie ihm mitteilte, dass sie am kommenden Sonntag nicht nach Lamma kommen könne. Er rief dreimal an. Alle drei Gespräche waren ungewöhnlich kurz. Mal passte es nicht, weil ein aufgebrachter Kunde auf dem Flughafen in Jakarta festsaß, mal weil Cathay Pacific Flüge annullierte oder Christine die Kinderärztin auf der anderen Leitung hatte. Die versprochenen Rückrufe blieben aus.
    Ihr Schweigen. Paul versuchte es zu ignorieren. Er putzte das Haus noch gründlicher als sonst. Staubte die Bücher ab. Wischte die Regale und die Fußböden. Versah den alten chinesischen Hochzeitsschrank mit einer neuen Wachspolitur, bis er wieder glänzte. Räumte den Kühlschrank aus und wusch jedes einzelne Fach mit Seifenlauge aus. Immunsystem geschwächt. Achten Sie auf äußerste Reinlichkeit. Im ganzen Haus. Schon ein kleiner Infekt kann lebensbedrohlich sein.
    Es gibt Sätze, dachte er, die verfolgen uns ein Leben lang. Justin war bald vier Jahre tot. Trotzdem konnte Paul bis heute nicht einmal die Andeutung von Schmutz im Haus ertragen.
    Er machte einen Spaziergang an die Inselspitze nach Pak Kok. Das Mobiltelefon ließ er zu Hause. Er wollte nicht bei jedem Schritt auf ihren Anruf warten.
    Er dachte über die vergangenen zwei Tage nach und versuchte,
seine Gedanken zu ordnen. Was regte ihn so auf? Dass Christine in achtundvierzig Stunden keine Zeit gefunden hatte, mit ihm in Ruhe ein paar Sätze zu wechseln? Ungewöhnlich, aber sie war eine viel beschäftigte Frau. Dass ihre Stimme nicht so zärtlich klang wie sonst? Wer war er? Ein frisch verliebter Teenager? Er wusste doch, unter welchem Druck sie stand. Dass sie am Sonntag nicht zu ihm kommen konnte? Es war nicht das erste Mal, dass ihr etwas dazwischenkam. Ihre Mutter stellte Ansprüche an die Tochter, die ihm zwar fremd waren, die er aber akzeptieren musste. Dass die SMS nicht mit »in Liebe.

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