Drachentränen
will. Im städtischen Leichenschauhaus von Laguna Beach.«
Bei diesen Worten zuckte sie zusammen. »Ordegard?«
»Yeah. Ich möchte den Autopsiebericht lesen, falls sie ihn schon fertig haben, und wenn möglich mit dem Coronet sprechen. Ich will wissen, ob sie irgendwas Seltsames gefunden haben.«
»Seltsam? Inwiefern?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß. Irgendwas Außergewöhnliches.«
»Aber Ordegard ist tot. Er war nicht nur eine… eine Projektion. Er war real, und jetzt ist er tot. Er kann nicht Ticktack sein.«
Aus unzähligen Märchen, Legenden, Mythen und Fantasy-Romanen hatte Harry ein reichhaltiges Repertoire an unglaublichen Vorstellungen, auf die er zurückgreifen konnte. »Also vielleicht hat dieser Ticktack die Fähigkeit, in andere Menschen hineinzuschlüpfen, ihr Bewusstsein zu übernehmen, ihren Körper zu kontrollieren, sie wie Marionetten zu benutzen und sie nach Belieben wieder loszuwerden oder aus ihnen herauszuschlüpfen, wenn sie sterben. Vielleicht hat er Ordegard kontrolliert, dann den Penner übernommen, und vielleicht ist der Penner jetzt tot, wirklich tot, seine Knochen liegen in meinem ausgebrannten Wohnzimmer, und Ticktack wird beim nächsten Mal in einem völlig anderen Körper erscheinen.«
»Du meinst, sie waren von ihm besessen?«
»So was ähnliches.«
»Du machst mir langsam Angst«, sagte sie.
»Langsam? Du bist mir wirklich eine harte Frau. Hör mal, Connie, kurz bevor er meine Wohnung in Schutt und Asche gelegt hat, hat Ticktack so was gesagt wie… Du glaubst, du kannst jeden erschießen, den du willst, und damit ist es erledigt, aber nicht bei mir, mich zu erschießen erledigt überhaupt nichts .« Harry klopfte gegen den Kolben des Revolvers in seinem Schulterholster. »Wen hab ich denn heute erschossen? Ordegard. Und dieser Ticktack erzählt mir, damit sei nichts erledigt. Deshalb möchte ich feststellen, ob an Ordegards Leiche irgendwas merkwürdig ist.«
Sie war verblüfft, aber nicht ungläubig. Sie stimmte sich allmählich auf die Sache ein. »Du willst wissen, ob es Hinweise darauf gibt, dass er von einer Art Geist besessen war?«
»Yeah.«
»Was sind denn solche Hinweise?«
»Irgendwas Merkwürdiges.«
»Zum Beispiel dass der Schädel der Leiche leer ist, kein Gehirn drin, nur Asche? Oder dass vielleicht die Nummer 666 auf seinen Nacken gebrannt ist?«
»Ich wünschte, es wäre was so Offensichtliches, aber das bezweifle ich.«
Connie lachte. Ein nervöses Lachen. Unsicher. Kurz.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl. »Okay, auf in die Leichenhalle.«
Harry hoffte, dass er durch ein Gespräch mit dem Coroner oder einen Blick auf den Autopsiebericht erfahren würde, was er wissen musste, und dass es nicht nötig sein würde, sich die Leiche anzusehen. Er wollte nicht noch einmal in dieses Mondgesicht sehen.
Kapitel 22
Die große Küche des Pacific View Cafe Home in Laguna Beach bestand ganz aus weißen Kacheln und Edelstahl, so sauber wie ein Krankenhaus.
Alle Ratten oder Kakerlaken, die hier reinkrochen, wären besser imstande, von Scheuerpulver, Seifenlauge und Bohnerwachs leben zu können, dachte Janet Marco.
Obwohl die Küche antiseptisch war, roch sie nicht nach Krankenhaus. Die in der Luft hängenden Düfte von Schinken, gebratenem Truthahn, Kräuterfüllung und überbackenen Kartoffeln wurden von dem kräftigen Zimtaroma der süßen Brötchen überlagert, die für den nächsten Tag zum Frühstück gebacken wurden. Es war außerdem ein warmer Ort, und die Wärme war sehr angenehm nach der Kälte, die der eben abgeflaute Sturm in die Märzluft gebracht hatte.
Janet und Danny aßen am Ende eines langen Tisches in der südöstlichen Ecke der Küche zu Abend. Sie waren niemandem im Weg, hatten aber den Vorteil, dass sie von ihrem Platz aus das eifrige Personal beobachten konnten.
Janet war fasziniert vom Arbeitsablauf in der großen Küche, die wie ein Uhrwerk funktionierte. Die Mitarbeiter waren fleißig und schienen zufrieden in ihrer Geschäftigkeit. Sie beneidete sie. Sie wünschte, sie könnte einen Job im Pacific View kriegen, entweder in der Küche oder in einer anderen Abteilung. Doch sie wusste nicht, was für Kenntnisse verlangt wurden. Und sie bezweifelte, dass der Besitzer selbst bei all seiner Gutmütigkeit jemanden einstellen würde, der in einem Auto lebte, sich in öffentlichen Toiletten wusch und keine feste Adresse hatte.
Obwohl es ihr Spaß machte, das Küchenpersonal zu beobachten, frustrierte sie der
Weitere Kostenlose Bücher