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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Anblick dieser Leute bisweilen ganz schön.
    Doch sie konnte Mr. Ishigura, dem Besitzer und Betreiber des Pacific View, keinen Vorwurf machen, denn an einem Abend wie diesem war er ein Geschenk des Himmels. Da er sparsam und gutmütig zugleich war, konnte er Verschwendung nicht ertragen und auch nicht den Gedanken, dass in einem so reichen Land jemand hungern sollte. Nachdem fast hundert Patienten und das Personal zu Abend gegessen hatten, blieb regelmäßig so viel übrig, um zehn bis zwölf Leute zu versorgen, weil die Rezepte nicht so exakt kalkuliert werden konnten, um die genau benötigte Anzahl von Portionen zuzubereiten. Mr. Ishigura verteilte diese Mahlzeiten an bestimmte Obdachlose.
    Das Essen war zudem gut, wirklich gut. Pacific View war kein gewöhnliches Pflegeheim. Es war exklusiv. Die Patienten waren reich oder hatten zumindest reiche Verwandte.
    Mr. Ishigura warb nicht mit seiner Großzügigkeit, und seine Tür stand auch nicht jedem offen. Wenn er Stadtstreicher sah, von denen er annahm, sie seien nicht ausschließlich durch eigenes Verschulden in diese Lage geraten, erzählte er ihnen von den kostenlosen Mittag- und Abendessen in Pacific View. Weil er wählerisch war, konnte man hier essen, ohne dabei mit diesen launischen und gefährlichen Alkoholikern oder Drogenabhängigen an einem Tisch sitzen zu müssen, die die Kirchen- und Missionsküchen so unangenehm machten.
    Janet nutzte Mr. Ishiguras Gastfreundschaft bei weitem nicht so oft aus, wie das möglich gewesen wäre. Von den sieben Mittag- und sieben Abendessen, die sie jede Woche in Pacific View hätte essen können, beschränkte sie sich auf jeweils zwei. Die übrige Zeit war sie in der Lage, selbst für sich und Danny zu sorgen, und sie war stolz auf jede Mahlzeit, die sie von ihrem eigenen Verdienst kaufte.
    An diesem Dienstagabend aßen außer ihr und Danny noch drei ältere Männer in der Küche, eine alte Frau, deren Gesicht so faltig wie eine verknitterte Papiertüte war, die aber ein Halstuch in fröhlichen Farben und eine leuchtendrote Baskenmütze trug, und ein leider sehr hässlicher junger Mann mit einem deformierten Gesicht. Alle waren abgerissen, aber nicht schmutzig, lange nicht beim Friseur gewesen, aber sie rochen ziemlich sauber.
    Sie sprach mit keinem von ihnen, obwohl sie sich gerne unterhalten hätte. Weil sie schon so lange mit niemandem außer Danny länger gesprochen hatte, fehlte ihr das Selbstvertrauen, mit einem anderen Erwachsenen zu plaudern.
    Außerdem fürchtete sie, an jemanden zu geraten, der neugierig wäre. Sie wollte keine Fragen über sich selbst und ihre Vergangenheit beantworten müssen. Schließlich war sie eine Mörderin. Und falls Vince’ Leiche in der Wüste von Arizona gefunden worden war, würde sie möglicherweise sogar von der Polizei gesucht.
    Sie sprach noch nicht einmal mit Danny, der nicht dazu angehalten werden musste, zu essen oder sich zu benehmen. Obwohl er erst fünf war, war der Junge gut erzogen und wusste, wie man sich bei Tisch verhielt.
    Janet war mächtig stolz auf ihn. Während sie aßen, strich sie ihm von Zeit zu Zeit übers Haar, berührte ihn am Nacken oder klopfte ihm auf die Schulter, damit er wusste, dass sie stolz auf ihn war.
    O Gott, wie sehr sie ihn liebte. So klein, so unschuldig, und wie geduldig er das Elend ertrug. Ihm durfte nichts zustoßen. Er musste die Chance bekommen, so aufzuwachsen, dass etwas aus ihm wurde.
    Sie konnte das Essen nur so lange genießen, wie sie den Gedanken an den Polizisten mehr oder weniger verdrängte. Den Polizisten, der seine Gestalt verändern konnte. Der fast zu einem Werwolf wie aus dem Kino geworden wäre. Der sich tatsächlich in Vince verwandelt hatte, während der Donner grollte und Blitze flackerten, und der Woofer mitten in der Luft angehalten hatte.
    Nach der Begegnung in jener Gasse war Janet durch den strömenden Regen nach Norden gefahren, raus aus Laguna Beach und in Richtung Los Angeles, in dem verzweifelten Wunsch, viele Meilen zwischen sich und das geheimnisvolle Wesen zu legen, das sie töten wollte. Es hatte gesagt, es würde sie finden, egal wohin sie liefen, und sie hatte ihm geglaubt. Aber einfach darauf warten, getötet zu werden, war unerträglich.
    Sie kam nur bis Corona Del Mär, der nächsten Stadt an der Küste, ehe ihr klar wurde, dass sie umkehren musste. In Los Angeles würde sie erst mal lernen müssen, in welchen Vierteln man am besten Mülltonnen plündern konnte und wann die Müllabfuhr kam, damit sie

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