Drachentränen
die Tonnen kurz vor den Müllfahrzeugen durchsuchen konnte, welche Gemeinden die toleranteste Polizei hatten, wo man Dosen und Flaschen einlösen konnte, wo es einen Menschenfreund wie Mr. Ishigura gab und vieles andere mehr.
Sie war im Moment knapp bei Kasse und konnte es sich nicht erlauben, so lange von ihren kärglichen Ersparnissen zu leben, bis sie sich an einem neuen Ort auskannte. Das bedeutete Laguna Beach oder nirgendwo.
Das schlimmste daran, bettelarm zu sein, war vielleicht, dass man keinerlei Wahl hatte.
Sie war nach Laguna Beach zurückgefahren und hatte sich insgeheim wegen des Benzins gescholten, das sie verschwendet hatte.
Sie hatten in einer Seitenstraße geparkt und waren den ganzen verregneten Nachmittag über im Auto geblieben. Während Woofer auf dem Rücksitz döste, hatte sie im grauen Licht des Sturms Danny aus einem dicken Märchenbuch vorgelesen, das sie aus einer Mülltonne gerettet hatte. Er mochte es, wenn man ihm vorlas. Er hatte ganz gefesselt dagesessen, während grauweiße und silbrige Schatten auf seinem Gesicht Muster malten, die dem Regenwasser entsprachen, das schimmernd die Windschutzscheibe herunterlief.
Jetzt war der Regen verschwunden, der Tag zu Ende, das Abendessen gegessen und Zeit, für die Nacht in den alten Dodge zurückzukehren. Janet war erschöpft. Sie wusste, Danny würde so schnell einschlafen, wie ein Stein in einem Teich versinkt. Doch sie fürchtete sich davor, ihre Augen zu schließen, denn sie hatte Angst, dass das Polizistending sie finden würde, während sie schliefen.
Als sie ihr schmutziges Geschirr zusammenräumten und zu dem Spülbecken trugen, wo sie es immer abstellten, sprach eine Köchin Janet und Danny an, deren Vorname Loretta war und deren Nachnamen Janet nicht kannte. Loretta war eine stämmige Frau von etwa fünfzig, mit einer Haut so zart wie Porzellan und einer Stirn, die so faltenlos war, als hätte sie in ihrem ganzen Leben keine Sorgen gehabt. Ihre Hände waren kräftig und von der Küchenarbeit gerötet. Sie hatte einen Pappteller voller Fleischreste in der Hand.
»Gibt’s den Hund noch?« fragte Loretta. »Dieser putzige Kerl, der die letzten Male hinter euch herlief?«
»Woofer«, sagte Danny.
»Er hat meinen Jungen richtig lieb gewonnen«, sagte Janet. »Er ist jetzt draußen auf dem Seitenweg und wartet auf uns.«
»Ich hab was Leckeres für den Süßen«, sagte Loretta und deutete auf die Fleischreste.
Eine hübsche blonde Krankenschwester, die ganz in der Nähe an einem Hackklotz stand und ein Glas Milch trank, bekam ihr Gespräch zufällig mit. »Ist er wirklich so süß?«
»Bloß eine Promenadenmischung«, sagte Loretta, »kein Rassehund, aber so was wie der sollte zum Film.«
»Ich bin verrückt auf Hunde«, sagte die Schwester. »Ich hab’ selbst drei. Ich liebe Hunde. Darf ich ihn mal sehen?«
»Aber sicher, komm mit«, sagte Loretta. Dann hielt sie inne und lächelte Janet an. »Haben Sie was dagegen, wenn Angelina ihn sich anguckt?«
Angelina war offensichtlich die Schwester.
»Um Himmels willen, nein, warum sollte ich was dagegen haben?« sagte Janet.
Loretta ging ihnen voran zur Seitentür. Die Reste in der Schale waren nicht fett oder knorpelig, sondern gute Stücke Schinken und Truthahn.
Draußen vor der Tür saß Woofer im gelben Lichtkegel einer Sicherheitslampe und wartete geduldig. Er hielt den Kopf schräg nach rechts, ein Ohr war gespitzt und das andere hing schlaff wie immer, auf seinem Gesicht lag ein fragender Ausdruck. Eine kühle Brise, die erste Regung in der Luft seit dem Sturm, zerzauste sein Fell.
Angelina war auf der Stelle begeistert. »Er ist wunderbar!«
»Er gehört mir«, sagte Danny so leise, dass ihn wahrscheinlich außer Janet niemand gehört hatte.
Als ob er das Kompliment der Krankenschwester verstanden hätte, grinste Woofer, und sein buschiger Schwanz fegte heftig über den Asphalt.
Vielleicht verstand er es sogar wirklich. Bereits am ersten Tag, nachdem sie Woofer getroffen hatten, war Janet zu dem Schluss gekommen, dass er ein kluger Köter war.
Angelina nahm der Köchin den Teller mit den Resten ab, ging an allen vorbei und hockte sich vor den Hund. »Du bist aber ein Süßer. Sieh mal hier, mein Kerlchen. Sieht das nicht gut aus? Ich wette, das magst du.«
Woofer schaute zu Janet hinüber, als ob er sie um Erlaubnis bäte, sich an den Resten gütlich zu tun. Jetzt war er zwar nur ein Straßenhund ohne Halsband, doch offenbar hatte ihn einmal jemand als Haustier
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