Drachenzauber
mein Vater zugesehen hatte, wie man seinen eigenen Vater zur Ruhe gebettet hatte. Zweifellos hatte er so etwas wie Zufriedenheit empfunden, als der hölzerne Kasten den Boden berührt hatte.
Ich schaute über das Grab hinweg Mutter an und erkannte an der angespannten Miene meines Onkels, dass sie wieder summte. Meine Erinnerung an Zeiten, als meine Mutter fröhlich war und lachte, stundenlang mit mir gespielt und Türme aus Bauklötzen gebaut hatte, während mein Vater in den Kriegen des Königs focht, waren nur noch vage.
Meine Schwester sah zu, wie der Sarg mit dem Hurogmeten in die weiche Erde gesenkt wurde. Sie zuckte zusammen, als mein Onkel ihr die Hand auf die Schulter legte. Ich musste an meinen Bruder denken, der alles aufgegeben hatte, um von meinem Vater wegzukommen.
Möge dich die Bestie aus der Unterwelt dafür verschlingen, was du aus deiner Familie gemacht hast, dachte ich. Aber vielleicht genügte es als Rechtferti-gung für die Götter, dass einer ein Hurog war, denn trotz aller Befürchtungen meines Onkels erhob sich kein finsteres Ungeheuer aus dem Schatten des Grabs, um die Leiche meines Vaters zu rauben.
Ich stieg vom Pferd, nahm eine Handvoll Erde und warf sie ins Grab. Bleib, wo du bist, dachte ich. Bittere Wellen fruchtlosen Zorns drohten, meine Fassung zu untergraben. Wenn Vater ein anderer Mann gewesen wäre, hätte jetzt mein Bruder neben mir gestanden und mir bei der überwältigenden Aufgabe, Hurog am Leben zu halten, helfen können. Ich hätte eine Mutter gehabt, die imstande war, die Last der alltäglichen Aufgaben in der Burg zu übernehmen, damit ich frei wäre, die Banditen zu jagen, die unsere Felder verwüsteten. Ich hätte hier nicht gestanden, wütend und mit Tränen, die mir über die Wangen liefen, während die Sargträger, Männer der Blauen Garde, Erde in das Grab meines Vaters schaufelten.
Am Ende war ich wohl der Einzige, der weinte.
Vielleicht war ich auch der Einzige, der trauerte.
Aber meine Trauer galt nicht dem Mann, der dort im Grab lag.
»Weiß mein Onkel von dir?«, fragte ich Oreg, der sich am Ende meines Betts ausgestreckt hatte. Von meinem Hocker vor der Feuerstelle aus beobachtete ich ihn, während ich mein Stiefelmesser schliff. Die Kleidung, die ich zur Beerdigung meines Vaters getragen hatte, hing im Schrank. Stattdessen trug ich die schweißfleckigen Sachen, die ich an diesem Abend bei den Übungskämpfen mit der Blauen Garde angehabt hatte. Nicht einmal die Beisetzung des Hurogmeten war ein Grund, diese Kämpfe zu unterbrechen.
»Nein.« Oreg schloss die Augen, die Züge entspannt. »Dein Vater verriet niemandem mehr, als er musste.«
Ich hielt das Messer so, dass das Licht es besser traf. Zwar konnte ich es nicht sehen, aber ich wusste, dass es eine leicht gekrümmte Schneide entwickelt 85
hatte, sonst wäre es nach all der Zeit, die ich an ihm gearbeitet hatte, schärfer gewesen. Also bückte ich mich, nahm den Lederriemen aus meinem Schleif-kasten und machte mich an die Arbeit.
Oreg rollte sich herum, damit er mich besser sehen konnte. »Heute Abend ist ein Mann gekommen, um mit deinem Onkel zu sprechen.«
»Der Aufseher des Feldes mit der Salzlawine«, sagte ich und zog das Messer über den Riemen.
»Der Zauberer deines Onkels hatte nicht mehr Glück als der alte Knasterbart.« Ich wusste inzwischen, dass Oreg Licleng nicht ausstehen konnte - er bezeichnete ihn als ›aufgeblasenen Schreiber‹. »In diesem Winter werden Menschen hungern.«
Ich fuhr noch ein paarmal mit dem Stein über die Schneide. Dann leckte ich meinen Arm und zog das Messer über den nassen Bereich. Diesmal schnitt das Messer das Haar sauber ab.
»Ja, aber Hurog wird überleben.« Ich beschloss, das Thema zu wechseln. Es gab nichts, was ich an der Ernte ändern konnte. »Danke für die Kleidung.
Ich nehme an, du warst auch für Ciarras Kleid verantwortlich.«
Er nickte. »Solche Dinge kann ich sehr gut.«
»Hast du die Sachen selbst bestickt?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Das war Magie. Aber manchmal, wenn ich Zeit habe, sticke ich auch. Ich
…« Er schloss die Augen. »Ich habe oft zu viel Zeit.«
Ich streckte mich und warf noch ein Scheit ins Feuer, das schon ziemlich heruntergebrannt war.
Selbst im Sommer war es abends in dem alten Steingebäude kühl.
3
WARDWICK
Ich saß fest in dem Netz, das ich selbst geknüpft hatte. Statt mich loszureißen, versuchte ich mir einzureden, dass ich dort sicherer war.
»Zumindest kann er kämpfen«,
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