Drachenzauber
Bibliothek nie. Von diesem Versteck aus hatte ich viele Nachmittage damit verbracht, Axiel zu beobachten, wenn er mit Messer und Schwert übte. Sein Stil war vollkommen anders als der meiner Tante, und ich stellte fest, dass es mich zu einem besseren Kämpfer machte, hier und da kleine Teile davon in meine eigene Kampftechnik einzuar-beiten.
Wenn Axiel auf meiner Seite stünde, würde ich erheblich sicherer sein, als wenn er meinem Onkel diente. Vor der Feuerstelle blieb ich stehen und schaute in die grauen Überreste des Feuers der vergangenen Nacht. Aber sicher wovor? Vor Vaters Tod hatte ich um mein Leben gekämpft. Wofür kämpfte ich jetzt?
»Wenn Ihr gestattet?« Obwohl es klang, als bäte er um Erlaubnis, begann Axiel sofort, mir mit großer Geschicklichkeit meine Kleidung auszuziehen. Während ich mich wusch, ging er hinüber zu meinem Bett.
»Herr?«
Ich blickte von der Waschschüssel auf und sah, dass er zwei Arten von Kleidungsstücken hochhielt.
»Ich habe diese Kleidungsstücke aus den Gemächern Eures Vaters mitgebracht.« Er hielt die vertrauten grauen Sachen hoch, die mein Vater bevorzugt hatte. »Aber es muss noch jemand hier gewesen sein, denn nun finde ich das hier.«
Ich nahm ihm die anderen Sachen ab. Dunkelblauer Samt, so dunkel, dass er beinahe schwarz aussah, mit einem aufgestickten Hurog-Drachen in Rot, Gold und Grün vorn auf der Schulter. Der Samt allein hätte zehn Goldstücke gekostet, wenn nicht mehr, und von meiner Mutter vielleicht abgesehen, gab es hier niemanden, der gut genug sticken konnte, um die Arbeit an dem Drachen geleistet haben zu können.
Das Hemd hatte einen blassen Goldton, und diese Art Stoff war mir noch nie untergekommen.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Seide, Herr. Ihr habt diese Sachen auch noch nie gesehen? Sie stammen nicht aus der Garderobe Eures Vaters, und nach allem, was ich weiß, gehören sie auch nicht zur Kleidung Eures Onkels.«
»Ich werde sie anziehen«, sagte ich und fuhr mit dem Finger über das Hemd. »Wenn sie passen.«
»Angemessen für die Beisetzung des Hurogmeten«, musste Axiel zugeben. »Aber wo kommen sie her?«
»Vielleicht war es das Familiengespenst«, sagte ich nach einem Augenblick des Nachdenkens vollkommen ernst.
»Das Gespenst?«
»Du weißt doch sicher von dem Gespenst?«, fragte ich und zog das Hemd über den Kopf. Es passte, als wäre es für mich angefertigt worden. Und vielleicht stimmte das ja auch. Sein Vater hatte keine anderen Diener gewollt, hatte er gesagt.
»Ja, selbstverständlich, Herr. Aber warum sollte es so etwas tun?«
Ich zuckte die Achseln und zog die Samttunika über die Seide. »Frag ihn doch.« Dann tauschte ich meine Hose gegen die weite Seidenhose aus, die zum Hemd passte.
Ich warf einen Blick in das polierte Metall, das ich als Spiegel benutzte, und bemerkte, dass die ungewohnte Eleganz meiner Kleidung mich schneidig und heroisch wirken ließ. Also achtete ich besonders darauf, dass ich außerdem auch dumm aussah, bevor ich das Zimmer verließ.
Die Beisetzung war eine großartige Angelegenheit; mein Vater hätte es gehasst. Aber er war nicht da, um Einspruch zu erheben. Meine Mutter trug grauen Samt - ihr Hochzeitskleid - und sah ätherisch und schön aus. Mein Onkel neben ihr wirkte stark und loyal - der ideale Mann, um Hurog zu schützen.
Meine Schwester sah aus wie eine erwachsene Dame. Sie war inzwischen beinahe so groß wie Mutter. Ich stellte ein paar schnelle Berechnungen an und erkannte, dass Mutter in Ciarras Alter bereits verheiratet gewesen war. Ciarra trug ebenso wie ich blauen Samt, aber ihr Drache war ein kleines Stickmuster rund um den Halsausschnitt. Oreg hatte eine arbeits-reiche Nacht hinter sich.
Als ich dort auf meinem Platz am offenen Grab gegenüber der Burg wartete, hatte ich einen guten Blick auf die Begräbnisprozession, und sie hatten einen ebenso guten Blick auf mich, ihren neuen (und derzeit machtlosen) Herrn.
Ich war auf einem fügsamen grauen Wallach, der sich in Hurog-Blau besonders gut machte, hierherge-ritten. Alle anderen kamen zu Fuß den Hügel herauf.
Stala, in Blau gekleidet, führte die Sargträger hinter Erdrick und Beckram an, die die Nachhut der Fami-liengruppe darstellten.
Von uns allen war Stala vielleicht die Einzige, die wirklich um meinen Vater trauerte. Ihr Gesicht war jedoch, wie ich bemerkte, gefasst und tränenlos.
Ein wenig abseits vom Rest der Zeremonie, sah ich zu, wie die Träger ihn vorsichtig in die dunkle Erde senkten, so wie
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