Drachenzauber
hintersten Ecke der Bibliothek aufbewahrt wurde. Meine Schuldgefühle rangen mit meiner Angst. Aber es war keine Angst um mein Leben mehr - nein, nichts annähernd so Edles.
Um mich also von den Schuldgefühlen abzulenken, die ich empfand, weil ich zuließ, dass Duraugh solche Anstrengung in ein sinnloses Projekt steckte, hatte ich mit einem unglücklichen Soldaten gespielt.
Und das, während mein Onkel sich bemühte, das Beste für Hurog zu tun.
»Du hast es ihm wirklich gezeigt«, fuhr Oreg wenig hilfreich fort. »Diesen Trick wird er so schnell nicht wieder versuchen. Nicht bei dir. Er hat gelernt, den Hurogmeten mit Respekt zu behandeln.«
Ich beobachtete Oreg forschend. War das nur eine beiläufige Bemerkung, oder wollte er sich ein-schmeicheln? Erkannte Oreg, dass ich mit meinem schlechten Gewissen rang? Ich wusste es nicht. Die Fürsorge meines Vaters hatte dafür gesorgt, dass ich Menschen recht gut deuten konnte, aber Oreg ließ sich nicht mit den anderen vergleichen. Er war schon sehr lange ein Sklave.
Ich griff nach einer weiteren Seifenscheibe und benutzte sie, um den Metallgeruch des Schwerts von meinen Händen zu waschen.
»Wie war mein Onkel als Junge?«, fragte ich, um ihn von dem Kampf abzulenken.
»Ich glaube, ich mochte ihn.« Oregs Hocker schaukelte vor und zurück. »Es ist lange her. Früher einmal konnte ich mich an alles erinnern, aber damit habe ich aufgehört. Jetzt vergesse ich die Dinge so schnell ich kann.« Er hatte plötzlich eine ausdruckslose, nach innen gerichtete Miene, die mir Unbehagen bereitete. So etwas war für gewöhnlich ein Vor-bote seiner seltsameren Augenblicke.
»Du denkst, ich sollte es ihm sagen«, bezichtigte ich ihn. »Du warst derjenige, der mir riet, mich auf meine Instinkte zu verlassen.«
Vorsichtig setzte er den Hocker wieder auf alle vier Beine ab, dann stand er auf und begab sich außer Reichweite. Blümchen machte erheblich schneller Fortschritte als er, aber Blümchen musste auch nur vier Jahre Misshandlung vergessen. »Was könnte er dir denn schon antun? Du bist keine zwölf mehr. Ich denke … ich denke, es schadet dir mehr, dass du dich dumm stellst, als dass es dich schützt.«
»Ich werde ausreiten«, sagte ich, stand spritzend auf und ignorierte, wie er bei meiner plötzlichen Bewegung zusammenzuckte. Schnell griff ich nach einem Handtuch und trocknete mich ab. »Ich brauche einen klaren Kopf.«
Während ich mich abtrocknete, konnte ich mir ein höhnisches Grinsen über mich selbst nicht verkneifen. Oreg hatte recht: Ganz gleich, wie vertrauenswürdig mein Onkel sich zeigte, es war Zeit, die Ver-stellung zu beenden - aber genau damit begann meine Furcht. Ich wollte Duraugh gegenüber nicht zugeben, dass ich mich sieben Jahre aus Angst vor meinem Vater unter einer Maske der Dummheit verborgen hatte. Es war verhältnismäßig leicht gewesen, es Oreg zu sagen, aber Oreg kannte Vater auch, wie ich ihn gekannt hatte. Er war hier gewesen, als Vater mich in seiner eifersüchtigen Wut beinahe totge-schlagen hatte.
Die Ironie war nicht von der Hand zu weisen: Ich hatte mich ein Drittel meines Lebens dumm gestellt, aber jetzt wollte ich nicht dumm dastehen.
Ich stieß ein schnaubendes Lachen aus und ging zum Schrank, um frische Kleidung zu holen. »Also gut. Wenn ich zurückkomme, werde ich meinem Onkel sagen, dass ich nicht so dumm bin, wie ich aussehe.«
Ich hatte Blümchen noch nicht viel geritten, und der Ritt, den ich vorhatte, würde ihm in diesem Stadium nicht gut tun. Mein übliches Pferd für Ausflüge in die Berge war eine große Dunkelfuchsstute, die ich wegen der Spur von Weiß an ihrer Stirn Feder nannte. Sie hatte eine breite Brust, starke Knochen und rannte so gern, wie ich es von ihr brauchte.
Für sie bedeutete das wilde Galoppieren über die Hänge der Hurog-Berge Spaß, für mich war es eine dringend benötigte Gelegenheit zu fliehen. Während wir über schmale Pfade und in steile Schluchten rasten, musste ich mich auf den Weg konzentrieren, und meine Gedanken konnten sich nicht immer wieder um Dinge drehen, die ich nicht beherrschen konnte.
Während wir rannten, gab es nur die Bewegung ihres großen Rumpfs unter meinen Unterschenkeln und das Dröhnen ihrer Hufe. Ich roch den Schweiß ihrer Anstrengung und hörte den gleichmäßigen Rhythmus ihres Atems. Wenn dieser Rhythmus brach, machte ich Halt.
Der Weg, auf den ich sie heute führte, war herausfordernd, voll mit abgebrochenen Ästen, umgefalle-nen Stämmen und abrupten
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