Drachenzauber
Wald leise zu bewegen. Im Dunkeln, nur mit dem Licht des Mondes, war es unmöglich. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Leute im Lager, wenn sie nicht taub waren oder sehr tief schliefen, mich hören würden, lange bevor ich sie erreichte.
Im Lager war nur eine einzige Gestalt zu erkennen. Sie hatte sich in einen dünnen Umhang gehüllt und hockte auf einem großen Stein vor dem Feuer, mit dem Rücken zu mir. Es gab nur eine Rolle mit Decken.
»Ich dachte, es wäre sicherer, wenn du mich findest, als wenn ich einfach in euer Lager reite«, sagte mein Bruder lässig, obwohl ich ziemlich sicher war, dass er mich unter dem Baum, unter dem ich hockte, nicht sehen konnte.
»Ins Feuer zu starren ist schlecht für deine Nachtsicht«, stellte ich fest, ohne näher zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, was Tosten hier wollte.
»Ich will nicht zu den Harfnern nach Estian gehen«, sagte er. »Und ich will auch kein Küfer werden. Ich will nicht in einer Schänke arbeiten. Und am allerwenigsten will ich Hurog.« Seine Stimme klang angespannt. »Es tut mir leid, Ward. Wenn du nicht wärst, läge ich längst am Hügel begraben, neben den anderen Ahnen, die den leichtesten Ausweg aus ihrem Leben wählten.«
Ich seufzte und trat in den Schein des Feuers, sodass er mich ebenso gut sehen konnte wie ich ihn.
»Mach dir keine Gedanken«, sagte ich. »Du kennst mich eben nicht besonders gut. Nur genug, um zu wissen, dass ich nicht so dumm bin, wie du dachtest.« Ich schob einen kleinen Stock ins Feuer.
Tosten hatte nur gesehen, was ich ihm gezeigt hatte. Unser mitternächtlicher Ritt nach Tyrfannig vor ein paar Jahren war kaum weniger dramatisch gewesen als das Zusammentreffen am Vortag. Er war damals schwach vom Blutverlust gewesen, und ich hatte es eilig gehabt. Nicht die richtige Zeit für lange Gespräche.
Es war nicht seine Schuld, dass ich, wenn ich ihn anschaute, den fröhlichen Bengel sah, der er als kleiner Junge gewesen war, während er einen Fremden erblickte, der aussah wie unser Vater.
»Vater hätte es getan. Er hätte dich umgebracht, weil du ihm im Weg warst.«
»Wie er es bei dir versucht hat.« Tostens Stimme war leise und enthielt kein Urteil. »Ein paar Leute aus Oranstein kamen heute in die Schänke. Sie fluchten über ein Schiff, das bereits ausgelaufen war. Der Ältere, der Gefährlichere von beiden, sagte, er werde einen Mann nach Neurod schicken, aber wahrscheinlich wärest du - er erwähnte deinen Namen - längst entkommen. Er sagte, Ciernack werde eben Geld als Ersatz für seine Sklavin nehmen müssen. Das werde ihn mehr kosten, als er sich leisten könnte, und das Geld werde aus dem Erbe des jüngeren Bruders kommen. Kannst du damit etwas anfangen?«
Ich nickte, froh, mich weniger schmerzhaften Themen zuwenden zu können. »Was hast du getan -
sie belauscht?«
»Nein, ich habe für sie gespielt. Wahrscheinlich konnte man sie bis auf die Straße hinaus hören - zumindest den Jüngeren. Er tat seinen Widerwillen dagegen, den Rest des Jahres in Buril verbringen zu müssen - wo immer das sein mag - sehr laut kund.«
»Buril ist Garranons Landsitz in Oranstein. Landislaw, sein jüngerer Bruder, ist jedoch am Hof aufgewachsen. Er wird es als das Ende der Welt betrachten.« Ich hatte ohnehin vorgehabt, Buril zu meiden, aber es war gut zu wissen, wohin diese beiden unterwegs waren. Schließlich umriss ich die Ereignisse, die zu meiner Flucht geführt hatten, so knapp wie möglich.
»Und was hast du jetzt vor?«, fragte Tosten. Das Feuerlicht flackerte, also konnte ich seine Miene nicht erkennen.
»Ich werde in Oranstein gegen die Vorsag kämpfen.«
Tosten reagierte ähnlich wie Axiel. Er nickte einfach nur, was dazu führte, dass ich mich fragte, ob er noch richtig im Kopf war. »Das könnte funktionieren. Eines Kriegshelden kann man sich nicht so einfach entledigen.« Er schien keinen Zweifel daran zu haben, dass ich zum Helden werden würde.
»Das dachte ich auch«, stimmte ich zu.
Tosten senkte den Kopf, und das Haar fiel ihm ins Gesicht. »Ich würde gern mit euch kommen.«
Er fühlte sich schuldig. Er hatte mich gekränkt, und jetzt wollte er mich dafür entschädigen.
»Geh und lerne von den Bänkelsängern in Estian«, sagte ich. »Ich habe genug Kämpfer.«
»Ich bin gut, Ward. Das weißt du.«
Er hatte recht. Oh, er war nicht so gut wie Vater und ich. Seine Technik gründete auf Tempo und Be-weglichkeit, nicht auf Kraft, aber das machte ihn nicht weniger tödlich, ganz gleich, was
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