Drachenzauber
Hurogmeten hieß in der alten, beinahe vergessenen Sprache von Shavig Hüter der Drachen.
Mein Leben lang hatte ich mich an den Ruhm ge-klammert, der Hurog einmal zuteil geworden war.
Bei meinen Kinderspielen war ich Seleg gewesen, der berühmteste aller Hurogmeten, und hatte Hurog gegen Eindringlinge verteidigt, die vom Meer her kamen. Wenn ich mit dem Racker und Tosten allein gewesen war, hatte ich die zerschlagene alte Schoßharfe herausgeholt und die Lieder gesungen, in denen es um Drachen ging und um zwergische Edelsteine, so groß wie Pferdeköpfe.
Und nun fand ich hier, begraben im Herzen von Hurog, den Beweis dafür, dass meine Ahnen alles verraten hatten, wofür Hurog stand. Ich streichelte den Schädel unter dem schwarzen eisernen Maulkorb, kniend, wie es dem Geschöpf angemessen war, dem die Hurogs so lange gedient hatten.
»Sie war wunderschön«, sagte eine leise Tenor-stimme hinter mir.
Ich riss den Kopf herum und sah einen Jungen, der ein oder zwei Jahre jünger zu sein schien als ich. Es war niemand, den ich kannte - ein Fremder im Herzen von Hurog.
Er hätte mir bis zur Schulter gereicht, wenn ich gestanden hätte, aber das ging vielen ausgewachsenen Männern nicht anders. In Hurog überragte mich nur mein Vater. Das Haar des Jungen war sehr dunkel, vielleicht sogar schwarz, und seine Augen funkelten hell und blauviolett. Er hatte scharfe, beinahe raubvogelhafte aristokratische Züge - das Aussehen, an dem es mir so mangelte.
Er starrte mich an, die Arme um den Oberkörper geschlungen. Seine Haltung erinnerte mich an ein Vollblutpferd, das kurz davor stand, beim ersten lauten Geräusch oder barschen Wort davonzustürmen.
Ciarra hockte neben mir und ließ sich von dem seltsamen Jungen nicht stören; sie streichelte weiter den Drachenschädel, als wäre es der Kopf eines Burg-hunds. Ich bewegte mich, bis ich mich zwischen ihr und dem Fremden befand.
»Sie hatte silberne Augen«, sagte der Junge. »Und wenn sie sang, schlugen die Herzen vieler Männer schneller. Er hätte sie in Ruhe lassen sollen. Das habe ich ihm auch gesagt.« Seine Stimme war atemlos und zitterte ein wenig.
Ich beobachtete ihn, zweifellos mit diesem geistlo-sen Gesichtsausdruck, der meinen Vater stets um den Verstand brachte. Aber ich dachte nach. Ich war tief unter der Burg, und ein Junge, den ich nie zuvor gesehen hatte, befand sich ebenfalls hier. Die letzten Drachen waren vor sieben oder acht Generationen verschwunden, und dennoch behauptete dieser Junge, mit dem Mann gesprochen zu haben, der den Drachen in Ketten legen ließ.
Ich wusste, wer er war.
Der Junge, der mich mit großen, gekränkten Augen ansah, war das Familiengespenst. Oh, wir wussten alle von ihm, obwohl wir es anderen gegenüber nie erwähnten. Es gab niemanden in der Familie, dem nicht schon einmal etwas Unerklärliches zugestoßen war.
Mochte einen das Gespenst, so konnte es sehr hilfreich sein. Die Stricknadeln der Zofe meiner Mutter fanden sich immer in ihrem Handarbeitsbeutel, wenn sie sie suchte, obwohl ich sie bei mehreren Gelegenheiten gerade erst anderswo gesehen hatte. Wenn es einen nicht mochte … nun, meine Tante war nicht wieder zu Besuch gekommen, seit sie dem Racker eine Ohrfeige verpasst hatte.
Niemand, den ich kannte, hatte den Jungen je gesehen, obwohl es Familiengeschichten über Leute gab, die ihn sehen konnten. Ich hatte etwas Furchter-regenderes erwartet, nicht einen Jungen mit der Haltung eines Hundes, der zu oft geschlagen worden war
- auch wenn es ein Hurog-Hund war. Seine Züge mochten feiner sein als meine, aber in der Form der Wangenknochen gab es immer noch eine gewisse Ähnlichkeit. Von den Farben einmal abgesehen, sah er ganz ähnlich aus wie mein jüngerer Bruder Tosten, und seine Augen waren wie die von Tosten und Ciarra Hurog-blau.
Er beobachtete mich mit der ruhigen Aufmerksamkeit eines Falken, dem man die Haube abgenommen hatte, und wartete meine Reaktion auf seine Worte ab.
»Das hier ist Blasphemie«, sagte ich entschlossen und berührte die zerbrechlich aussehenden weißen Knochen. Magie drang durch meine Fingerspitzen auf mich ein, und ich zischte unwillkürlich.
»Es ist Macht«, erwiderte der Junge mit leiser Stimme, die bewirkte, dass sich meine Nackenhaare sträubten. »Hättest du der Versuchung widerstehen können, sie zu nutzen? Du bist ein Magier, Ward, selbst wenn deine Magie so gut wie verschwunden ist. Du weißt, was diese Macht bedeutet. Sie bedeutet Essen für das Volk und Reichtum und Macht
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