Dracula, my love
ihm an die Kehle gehen und ihn umbringen. Es war ohnehin zweifelhaft, ob ich es überhaupt bis England schaffen würde. So rasch, wie ich mich veränderte, könnte es sich vielleicht nur noch um Tage handeln, bis auch Jonathan und die anderen die Zeichen erkannten. Dr. van Helsing würde mich, zweifellos mit Hilfe meines Mannes, sicherlich genauso umbringen, wie sie Lucy umgebracht hatten, noch ehe ich das Grab erreichte. Oder schlimmer: weil sie sahen, dass ich immer noch infiziert war, würden sie daraus schließen, dass auch Dracula noch am Leben war, und ihre Bemühungen erneuern, ihn zu finden und zu töten - was wieder jeden der Männer größter Gefahr aussetzen würde.
Nein, beschloss ich, überwältigt von Bitterkeit und Bedauern. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, sie alle wieder in solche Gefahr zu bringen. Ich sollte besser jetzt gleich verschwinden, ehe sie herausfanden, was mir in Wahrheit widerfahren war. Wagte ich es, einen letzten Blick auf meinen Ehemann zu werfen? Sollte ich ihm einen Brief hinterlassen? Nein. Was sollte ich ihm darin auch mitteilen?
Ich weinte noch einige Minuten leise weiter: um die Familie, die ich nun nie haben würde, und um das Leben mit meinem lieben Ehegatten, das ich nun niemals führen würde. Alles war mir verloren, ein Verlust, den ich sehr wohl verdient hatte. Er war Gottes Strafe für das, was ich getan hatte. Ich hatte Jonathan betrogen, und nun musste ich den Preis dafür zahlen.
Endlich trocknete ich mir die Augen und schaute um mich, bemerkte dankbar, dass der Rest der Gesellschaft in den Zelten noch tief schlummerte. Leise holte ich meine Wasserflasche, spülte mir den Mund aus und putzte mir die Zähne. Als ich mit diesen Säuberungen fertig war, setzte ich mich auf einen Baumstamm neben die Glut des Lagerfeuers.
Schluss mit dem Selbstmitleid, tadelte ich mich. Eigentlich hätte ich wohl erleichtert sein sollen, weil alles so gut gegangen war. Ich musste nun nicht mehr zwischen meinen beiden Lieben wählen. Die Entscheidung war mir abgenommen worden. Es musste unzählige Menschen geben, die es aufregend fänden, mit mir zu tauschen. Ich würde ein Vampir mit unglaublichen Kräften werden! Ich würde meine Gestalt ändern und mich in Luft auflösen können. Ich würde Zeit haben, alles herauszufinden, was es zu wissen gab. Hatte ich mich nicht danach gesehnt, Prinzessin zu sein? War Nicolae nicht ein Prinz? Ich würde für immer mit einem Mann Zusammenleben, den ich aus tiefster Seele liebte. Und ich konnte schon jetzt sofort bei ihm sein!
In diesem Augenblick bemerkte ich einen feinen weißen Nebel, der zwischen den Bäumen herkam und sich über den Lagerplatz auf mich zubewegte. Mein Herz machte einen Sprung. Ich verspürte ein kleines Schaudern, Vorahnung überkam mich. Es geschah wirklich! Ich würde mein Leben hinter mir zurücklassen, sterben und ein neues Leben als Untote beginnen, als unsterbliches Wesen. Der weiße Nebel wirbelte nach oben, ballte sich zur Gestalt eines Mannes zusammen. Und plötzlich stand Nicolae neben mir.
„Komm mit mir nach Hause, Liebste“, sagte er und streckte mir die Hand hin.
24
In einem Wirbel von Klängen und Geräuschen und Wind und Mitternachtsluft trug mich Nicolae zu seiner Burg.
Als er mich in der großartigen Bibliothek wieder auf die Füße stellte, küsste er mich leidenschaftlich. „Endlich! Du bist hier.“
„Ich kann niemals mehr zurück.“
Der Raum wurde durch eine Unzahl antiker Lampen erleuchtet, die auf die dunklen Steinmauern und den Boden lange, bebende Schatten warfen. Nicolae nickte und sagte dann leise: „Ich weiß, dass dies viele Jahrzehnte früher geschieht, als du dir es gewünscht hättest, mein Liebling, aber enttäuscht bin ich eigentlich nicht.“
„Ich kann nicht einfach verschwinden, ohne jegliche Erklärung, ohne Abschied. Aber ich habe darüber nachgedacht, wie ich es bewerkstelligen könnte.“
Er las meine Gedanken. „Die tote Bauersfrau im Wald?“
Ich nickte und befreite mich aus seiner Umarmung. „Sie war etwa so groß wie ich und hatte meine Haar- und Hautfarbe. Ihr Gesicht war völlig unkenntlich. Wenn wir der Leiche meine Kleider anziehen und sie an eine andere Stelle bringen, irgendwo in die Nähe unseres Lagers, dann denken die Männer, dass mich die Wölfe in der Nacht getötet haben.“ Während ich diese Worte aussprach, schauderte ich. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es für Jonathan sein würde, meine verstümmelte Leiche zu finden. Würde er sich
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