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Dracula, my love

Dracula, my love

Titel: Dracula, my love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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gedacht?“
    „Natürlich“, erwiderte ich mit einer Stimme, die ich kaum wiedererkannte.
    Er brachte das Pferd zum Stehen und wandte sich mir zu.
    Sein Gesicht schimmerte im Mondlicht, als unsere Blicke sich trafen. Er legte seine kühle Hand an meine heiße Wange, und diese Berührung hatte etwas so Intimes, dass ich unwillkürlich leise seufzte. Mit seiner sanften, tiefen Stimme sagte er: „Ich habe an kaum etwas anderes gedacht als an Sie.“
    „Jeden Tag habe ich mich gefragt, wo Sie sind und wie es Ihnen geht“, flüsterte ich.
    „Mir ging es ebenso. Ich glaubte, Sie für immer verloren zu haben. Und doch konnte ich Sie nicht vergessen. Ich kann Sie niemals vergessen, Mina.“
    Es war das erste Mal, dass er mich Mina nannte, eine Vertrautheit, die nur den engsten Freunden Vorbehalten ist. Nun beugte er sich weiter zur mir herüber, bis sein Gesicht nur noch wenige Zoll von dem meinen entfernt war. Begierde durchströmte mich. Mich erfasste der verzweifelte Drang, zu spüren, wie sich seine Lippen auf meine pressten. Heiße Tränen wallten in mir auf, und mein Hals war wie zugeschnürt.
    „Vielleicht“, brachte ich stammelnd hervor, „wäre alles anders gekommen, wäre ich nicht bei unserer ersten Begegnung bereits verlobt gewesen. Aber ich war verlobt. Und nun bin ich verheiratet!“ Ich löste mich von ihm und warf seinen Umhang ab. „Es ist nicht recht. Es ist schlecht! Es tut mir leid, aber ich darf Sie niemals wiedersehen!“
    Ich sprang vom Gig und rannte voller Verzweiflung über den baumbestandenen Weg davon.
    Auf mein leises Klopfen öffnete mir ein Hausmädchen die Eingangstür zum Irrenhaus. Ich eilte in mein Zimmer hinauf, wo ich auf das Bett niedersank und in Tränen ausbrach.
    Oh, die Irrungen und Wirrungen des Menschenherzens! Es ließ sich nicht mehr leugnen: Ich hatte mich in Herrn Wagner verliebt! Wahnsinnig, bis über beide Ohren, verzweifelt verliebt! Wie war es möglich, überlegte ich betrübt, zwei Männer gleichzeitig zu lieben? Denn ich liebte meinen Ehemann von ganzem Herzen. Doch meine Gefühle für Jonathan waren etwas völlig anderes als das, was ich für Herrn Wagner empfand. Sie waren ruhiger und besonnener, bauten auf einer lebenslangen Freundschaft und auf Respekt auf.
    Andererseits brachte der bloße Gedanke an Herrn Wagner mein Herz zum Rasen. Wenn ich in seiner Gesellschaft war, seine Stimme hörte, seine Berührung spürte, war ich wie elektrisiert und erregt wie noch nie zuvor. Als ich mich von ihm verabschiedete, hatte ich das Gefühl, mein Körper würde in zwei Stücke gerissen. Doch welche andere Wahl blieb mir? Keine. Keine! Ich war eine verheiratete Frau. Wenn ich mich in seiner Gesellschaft befand, war ich in Versuchung - war es von Anfang an gewesen. Und ich vermochte ihm kaum zu widerstehen. Ich war bereits weit über die Grenzen aller Wohlanständigkeit hinausgegangen, indem ich so viel Zeit mit ihm allein verbracht hatte. Doch meine sehnsüchtigen Gedanken spotteten vollends jeglichem Anstand und jeder Moral.
    Einige Minuten lag ich auf dem Bett und weinte bitterlich. Doch das, so viel wusste ich, war keine Lösung. Ich nahm all meine Kraft zusammen, trocknete mir die Tränen und sprach laut die Zeilen meines liebsten Shakespeare-Sonetts vor mich:
    ... Lieb' ist nicht Liebe, wenn sie Störer stören,
Wenn sie Zerstreuung irrend kann zerstreun.
O nein! sie ist ein ewig sichres Ziel,
Thront unerschüttert über Sturmeswogen...
    Meine Liebe zu Jonathan, rief ich mir in Erinnerung, die war ein ewig sichres Ziel. Sie war beständig und treu. Sie wurde nicht von Sturmeswogen erschüttert, sie war kein Narr der Zeit, wurde nicht von Zeitläuften verändert. Ich hatte die Versuchung verspürt, aber ich war ihr nicht erlegen. Meine Liebe würde beharren, wie Shakespeare es geschrieben hatte, sogar ›bis an Weltgerichtes Rand‹.
    Ich schaute auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. Es war beinahe halb neun. Dr. Seward musste sich fragen, was wohl aus mir geworden war. Ich ging zum Waschbecken, besprengte mein Gesicht mit Wasser und richtete mir das Haar. Ich war entschlossen, meinen heftigen Gefühlswallungen ein Ende zu setzen und meinen abendlichen Ausflug für mich zu behalten.
    Ich ging nach unten in Dr. Sewards Arbeitszimmer, wo ich ihn, in die Lektüre meiner mit der Maschine geschriebenen Seiten vertieft, am Schreibtisch sitzend fand. Als er mich sah, sprang er auf. „Frau Harker, ich habe der Köchin sagen lassen, sie solle mit dem Nachtessen noch

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