Dracula, my love
Ich habe Euch seit langem aus der Ferne verehrt, nun aber seid Ihr endlich da, und ich erwarte Eure Befehle!“
Eine ähnliche Begebenheit folgte, die genauso seltsam war. Nachdem man ihn wieder eingefangen hatte, beruhigte sich Herr Renfield, als er eine große Fledermaus wahrnahm, die still und gespenstisch im Mondlicht gen Westen flog. Damals war Dr. Seward über diese Vorkommnisse sehr verwundert. Doch jetzt, da wir wussten, dass das fragliche Haus dem Grafen Dracula gehörte, fragte ich mich: War Dracula selbst zu jener Zeit in der Kapelle? War der irre Renfield durch seine Manie irgendwie mit dem Grafen verbunden?
Nun fuhr der Bericht mit Nachrichten über die liebe Lucy fort, mit dem Teil, der für mich von größtem Interesse war. Er war abwechselnd in Dr. Sewards phonographischen Notizen und in seiner Korrespondenz mit Arthur Holmwood und anderen enthalten. Tränen strömten mir über das Gesicht, als ich Dr. Sewards angsterfüllter Stimme lauschte, wie er in allen Einzelheiten über Lucys Leiden in jenen letzten, schrecklichen Wochen ihres Lebens sprach.
Oh! Hätte ich doch damals bei ihr sein und ihr helfen können! Wenn nur die vier guten Männer, die sie behandelten, über die Art von Lucys Leiden und die Identität ihres Feindes gewusst hätten, was wir heute wissen! Aber sie tappten alle im Dunklen - alle außer Dr. van Helsing natürlich. Doch dessen Bemühungen waren vergeblich, und er wagte es nicht, seinen schrecklichen Verdacht zu äußern, ehe er Beweise hatte.
Dr. van Helsing nahm vier verschiedene Blutübertragungen bei Lucy vor, erst mit Blut von Lord Godalming, dann von Dr. Seward, dann von sich selbst und schließlich, als es schien, als gäbe es niemanden mehr, den er darum bitten könnte, von Herrn Quincey Morris, dem reichen jungen Amerikaner aus Texas, der Lucy auch bis zum Wahnsinn liebte und auf eine Depesche seines alten Freundes Lord Godalming hin sofort herbeigeeilt war. Vier Blutübertragungen in nur zehn Tagen! Es war unglaublich! Jede schien ihr für kurze Zeit wieder Leben einzuhauchen, doch am nächsten Morgen war sie stets erneut blutleer. Sie verlor jeglichen Appetit. Sie wurde immer schwächer und dünner. Schließlich war klar, dass sie im Sterben lag.
Als sich die Männer betrübt um Lucys Sterbebett versammelten, sank sie in tiefen Schlaf. Dann aber ging plötzlich eine seltsame Veränderung mit ihr vor. Sie schlug die Augen auf, die zugleich hart und traurig aussahen, und als sie den Mund öffnete, erschienen ihre Eckzähne deutlich schärfer und spitzer als alle anderen. Mit leiser wollüstiger Stimme, wie sie die Männer noch nie von ihr gehört hatten, sagte Lucy: „Arthur, o mein Liebster, wie froh ich bin, dass du gekommen bist! Küsse mich!“
Obwohl ihn diese Verwandlung höchlichst erstaunt hatte, beugte sich Arthur hastig über sie, um sie zu küssen. Doch van Helsing packte ihn am Genick und schleuderte ihn förmlich durch das Zimmer, während er rief: „Nicht um Ihr Leben! Hier geht es um Ihre und Lucys lebendige Seele!“
Während Dr. van Helsing zwischen ihnen stand wie ein Löwe, der sich zur Wehr setzt, verzerrte einen Augenblick lang eine furchtbare Wut Lucys Antlitz. Dann blinzelte sie, und in ihren Augen und auf ihrem Antlitz lag wieder die uns bekannte süße, unschuldige Güte. Sie streckte ihre bleiche, abgemagerte Hand aus dem Bett, ergriff die von Dr. van Helsing und zog sie an sich. „Mein treuer Freund“, sage sie mit ersterbender Stimme. „Mein treuer Freund und auch der Seine. Beschützen Sie ihn, und schenken Sie mir den Frieden!“
Wenige Augenblicke später starb Lucy. Die Männer, die sie geliebt und aufopfernd gepflegt hatten, waren vom Kummer gebeugt.
„Nun hat sie wenigstens Frieden gefunden, das arme Mädchen“, sagte Dr. Seward leise, während ihm die Tränen aus den Augen rannen. „Nun ist alles zu Ende.“
„Nein, leider, nein!“, erwiderte Dr. van Helsing ernst und rätselhaft. „So ist es nicht. Das hier ist erst der Anfang!“
Beim Bestattungsunternehmen, wo Lucys Leichnam aufgebahrt lag, bemerkten Dr. Seward und Lord Godalming voller Erstaunen, dass Lucys ganze Schönheit im Tode zurückgekehrt war. Sie lag wirklich so lieblich vor ihnen, dass sie es nicht für möglich hielten, dass es ein Leichnam war. Doch ein, zwei Tage, nachdem man Lucy und ihre Mutter in der Familiengruft in der Nähe der Heide von Hampstead zur letzten Ruhe gebettet hatte, begann die geheimnisvolle Frau in Weiß am späten Abend zu
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