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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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zweiten, dass ich am folgenden Tag abzureisen gedächte, und den dritten, dass ich die Burg verlassen hätte und in Bistritz angekommen wäre. Ich wollte erst protestieren, fühlte dann aber sofort, dass es bei der gegenwärtigen Lage der Dinge Wahnsinn wäre, offen gegen den Grafen zu rebellieren, in dessen absoluter Gewalt ich mich doch befinde. Das Abschlagen seiner Bitte hätte nur seinen Zorn und seinen Argwohn erregt. Er weiß, dass ich zu viele seiner Geheimnisse erahne, und er wird mich nicht lebend davonkommen lassen, da ich ihm sonst gefährlich werden könnte. Das Einzige, was ich jetzt versuchen kann, ist Zeit zu gewinnen. Vielleicht bietet sich mir ja doch noch irgendeine Gelegenheit zur Flucht? Er erklärte mir seinen Wunsch damit, dass die Post selten und unregelmäßig ginge und dass meine Freunde meine Nachrichten schneller erhielten, wenn ich sie gleich jetzt schriebe. Zudem versicherte er mir mit seiner ganzen Beredsamkeit, dass mein letzter, von Bistritz datierter Brief dort bis zur fälligen Zeit aufbewahrt werden würde und dass man ihn natürlich nicht abgehen ließe, wenn ich etwa meinen Aufenthalt noch zu verlängern gedächte. Ich konnte ihm einfach nicht widersprechen, wollte ich ihm nicht |64| neue Verdachtsgründe gegen mich geben, und antwortete daher, ich wäre vollkommen seiner Ansicht. Auf meine Frage, welche Daten ich denn auf die Briefe setzen sollte, rechnete er einen Augenblick nach, dann entgegnete er:
    »Auf den ersten Brief 12. Juni, auf den zweiten 19. Juni und auf den dritten 29. Juni.«
    Nun weiß ich, wie lange ich noch zu leben habe. Gott steh mir bei!
     
    28. Mai
    Es gibt eine Möglichkeit zur Flucht, oder wenigstens die Gelegenheit, eine Nachricht nach Hause zu senden! Eine Gruppe Szigany ist in die Burg gekommen und hat im Hof ihr Lager aufgeschlagen. Die Szigany sind Zigeuner, ich habe einiges über sie in meinen Papieren notiert. Sie sind eine Besonderheit dieses Landstriches, aber verwandt mit den anderen Zigeunern, die über die ganze Welt zerstreut sind. Tausende von ihnen nomadisieren in Ungarn und Transsilvanien, wo sie fast vollkommen rechtlos sind. Sie stellen sich daher in der Regel unter den Schutz eines Edelmannes oder Bojaren, dessen Namen sie dann annehmen. Sie sind furchtlos und, von ihrem Aberglauben einmal abgesehen, ohne jegliche Religion, und sie sprechen fast ausschließlich ihr ganz eigenes Romani-Idiom 1
    Ich will einige Briefe schreiben und versuchen, diese durch sie aufgeben zu lassen. Durchs Fenster habe ich mich bereits bemerkbar gemacht und erste Bekanntschaft mit ihnen geknüpft. Sie nahmen ihre Hüte ab, verbeugten sich und machten mir Zeichen, die ich aber leider ebenso wenig verstand wie ihre Sprache …
     
    Ich habe die Briefe nun fertig. Der an Mina ist in Kurzschrift verfasst, und Mr. Hawkins habe ich schlicht angefleht, sich mit ihr |65| in Verbindung zu setzen. Mina habe ich meine Lage klar geschildert, ohne derjenigen Schrecken Erwähnung zu tun, die ich mir vielleicht doch nur einbilde – es würde sie ohnehin zu Tode entsetzen, wenn ich ihr mein ganzes Herz ausschütten wollte. Sollten die Briefe nicht durchkommen, so soll der Graf wenigstens nicht meine Geheimnisse und den ganzen Umfang meiner Kenntnisse wissen …
     
    Ich bin die Briefe los; ich warf sie zusammen mit einem Goldstück durch die Gitter meiner Fenster und machte den Zigeunern durch Zeichen so deutlich wie möglich, dass sie sie weiterleiten sollten. Der Mann, der sie an sich nahm, drückte sie ans Herz, verbeugte sich und steckte sie dann in seine Mütze. Mehr konnte ich nicht tun. Ich stahl mich darauf wieder in die Bibliothek und begann zu lesen. Da der Graf nicht da ist, schreibe ich jetzt hier weiter …
     
    Der Graf ist gekommen! Er setzte sich zu mir und sagte in der ruhigsten Weise, während er mit zwei Briefen wedelte:
    »Dies hier haben mir die Szigany gegeben, und ich muss mich wohl darum kümmern, auch wenn ich nicht weiß, woher das kommt. – Aber sehen Sie nur«, er hatte die Briefe mit Bestimmtheit längst untersucht, »einer ist sogar von Ihnen und für meinen Freund Peter Hawkins! Aber dieser andere hier …« Er öffnete den zweiten Brief, und sein Gesicht verfinsterte sich über den seltsamen Zeichen. Seine Augen funkelten böse. »Die ser andere ist ein widerwärtiges Ding, ein Verrat an Freundlichkeit und Gastfreundschaft! Was sehe ich, er ist nicht unterschrieben? Nun dann, so geht er uns auch nichts weiter an!« Und ruhig hielt er Brief

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