Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
Vom Netzwerk:
und
warum
Sie es tun, und Sie sagen ihnen nicht, was Sie
denken
. Bewahren Sie also das, was Sie erfahren, da auf, wo es hingehört, wo es bleiben soll, wo es sich mit anderen gleichartigen Erfahrungen versammeln und Früchte tragen kann. Sie und ich, wir werden geheim halten, was wir erfahren, und zwar hier und hier.« Er berührte mich in der Gegend des Herzens und an der Stirn und darauf sich selbst in der gleichen Weise. »Ich meinerseits habe mir schon meine Gedanken gemacht. Später werde ich Sie einweihen.«
    »Warum nicht jetzt gleich?«, fragte ich. »Vielleicht wäre das von Nutzen, vielleicht könnten wir so rascher zu einer Entscheidung kommen!« Er blieb stehen, sah mich an und entgegnete:
    »Mein Freund John, wenn das Korn gewachsen, aber noch nicht reif ist, wenn die Milch der Mutter Erde noch in ihm ist und die Sonne noch nicht begonnen hat, es golden zu färben, dann reißt der Landmann eine Ähre aus, reibt sie zwischen seinen rauen Händen, bläst die grüne Spreu weg und sagt: ›Seht, das ist gutes Korn; es wird eine vorzügliche Ernte geben, wenn die |177| Zeit da ist.‹« Ich verstand das Gleichnis nicht und gestand es ihm ein. Zur Antwort nahm er mich beim Ohr, zog scherzhaft daran, wie er es vor Zeiten im Unterricht getan hatte, und sagte zu mir: »Der gute Landmann wird das erst dann zu Ihnen sagen, wenn er sich sicher ist, aber nicht vorher. Sie werden nie finden, dass der Landmann sein eben erst gesätes Korn ausgräbt, um zu sehen, ob es wächst. Das tun nur Kinder, die im Spiel den Landmann nachahmen. Verstehen Sie es jetzt, Freund John? Ich habe mein Korn ausgesät und muss der Natur nun ihren freien Lauf lassen, dass sie es zum Sprießen bringt. Wenn es erst einmal sprießt, dann ist auch Hoffnung auf Reife. Ich kann warten, bis die Ähren schwellen.« Er brach ab, da er offenbar sah, dass ich ihn nun verstanden hatte. Dann ging er weiter und sagte in tiefem Ernst:
    »Sie waren immer ein fleißiger Student, und Ihr Studienheft war immer voller als das Ihrer Kommilitonen. Damals waren Sie Student, heute sind Sie Arzt; ich hoffe aber, dass Sie Ihren Eifer von damals noch nicht abgelegt haben. Denken Sie immer daran, dass das sichere Wissen stärker ist als die bloße Meinung, und dass man sich auf das Schwächere nicht verlassen darf. Wenn Sie aber Ihre guten Gewohnheiten nicht beibehalten haben sollten, dann lassen Sie sich gesagt sein, lieber Freund, dass der Fall unserer lieben Miss für uns und andere von so hohem Interesse werden kann – ich sage absichtlich
kann
–, dass kein anderer Fall ihm gleichkommt. Seien Sie also höchst aufmerksam, nichts ist hier zu geringfügig, um vermerkt zu werden. Ich rate Ihnen sogar dazu, selbst Ihre Zweifel und Mutmaßungen schriftlich niederzulegen. Später ist es vielleicht von Interesse für Sie, zu sehen, wo Sie richtig geraten haben. Wir lernen aus unseren Fehlern, nicht aus unseren Erfolgen!«
    Als ich ihm die Symptome von Lucys Krankheit beschrieb – es sind dieselben wie bisher, nur bedeutend ausgeprägter –, sah er sehr ernst aus, sagte aber kein Wort. Er hatte eine Reisetasche mitgebracht, in der sich viele Instrumente und Arzneien befanden, |178| »die grässliche Mitgift unseres wohltätigen Handwerks«, wie er einst in einer Vorlesung scherzhaft die Ausrüstung der Mediziner genannt hatte. Als wir ankamen, empfing uns Mrs. Westenra. Sie war sehr besorgt, aber lange nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte. Die Natur hat den Menschen in einer ihrer wohltätigen Anwandlungen sogar gegen die Schrecken des Todes Gegenmittel gewährt. Im Falle von Lucys Mutter, wo jede Kleinigkeit verhängnisvoll werden kann, liegen die Dinge so, dass ihr alles, was sie nicht ganz persönlich betrifft, fernbleibt – selbst der furchtbare Umschwung im Befinden ihrer Tochter, die sie doch über alles liebt. In ähnlicher Weise umgibt Mutter Natur einen Fremdkörper, der irgendwo eingedrungen ist, nach Möglichkeit mit einer unempfindlichen Gewebeschicht, um weitere Verletzungen zu verhindern. Wenn es also einen solchen, von der Natur selbst eingerichteten Egoismus gibt, dann sollten wir es uns gut überlegen, irgendjemandem das Laster der Selbstsucht vorzuwerfen, denn dessen Wurzeln mögen tiefer liegen, als wir zu beurteilen imstande sind.
    Ich benutzte also meine Kenntnisse dieser psychologischen Vorgänge und ordnete an, dass sie Lucy möglichst fernbleiben und sich nicht mehr mit deren Krankheit beschäftigen sollte, als absolut erforderlich sei.

Weitere Kostenlose Bücher