Dracula - Stoker, B: Dracula
Sie sagte bereitwillig zu, so bereitwillig, dass ich auch hier wieder ihre Natur für ihr Leben kämpfen sah. Van Helsing und ich wurden in Lucys Zimmer geführt. Wenn ich gestern bei ihrem Anblick erschrak, so war ich heute entsetzt, als ich sie sah. Sie war von gespenstischer, kreidiger Blässe, das Rot schien sogar aus ihren Lippen und aus ihrem Zahnfleisch gewichen zu sein, und ihre Gesichtsknochen standen weit hervor. Ihr schweres Atmen war furchtbar mit anzusehen und anzuhören. Van Helsings Gesicht wurde starr wie Marmor, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, dass sie sich über der Nase berührten. Lucy lag regungslos in ihren Kissen und hatte nicht die Kraft zu sprechen. Eine Zeit lang war es totenstill. Dann winkte mir van Helsing, und wir gingen vorsichtig aus dem |179| Zimmer. Kaum hatten wir die Tür hinter uns geschlossen, eilten wir rasch den Gang entlang bis zum nächsten Zimmer, dessen Tür offen stand. Hier zog er mich schnell hinein und schloss hinter uns ab. »Mein Gott«, sagte er, »das ist ja entsetzlich! Da ist keine Zeit zu verlieren. Sie hat nicht einmal mehr ausreichend Blut in sich, um den Herzschlag aufrechtzuerhalten. Sie wird sterben, wenn nicht sofort eine Bluttransfusion vorgenommen wird. Wollen
Sie
oder soll ich?«
»Ich bin jünger und kräftiger, Herr Professor. Ich will!«
»Dann machen Sie sich sogleich bereit. Ich werde meine Instrumententasche holen, ich habe alles Notwendige dabei.«
Ich ging die Treppe mit ihm hinunter. In diesem Augenblick ließ sich ein Klopfen an der Haustür vernehmen. Als wir den Flur erreichten, hatte das Mädchen bereits geöffnet und Arthur trat eilig ein. Er stürzte auf mich zu und flüsterte erregt:
»Jack, ich war so besorgt. Ich habe zwischen den Zeilen deines Briefes gelesen, und ich bin in Todesangst. Vater geht es wieder besser, also kam ich her, um selbst nach Lucy zu sehen. Ist dieser Gentleman hier Dr. van Helsing? Ich bin Ihnen ja so dankbar, Sir, dass Sie gekommen sind!« Der Professor schien zunächst verärgert zu sein, so als käme ihm diese Unterbrechung äußerst ungelegen. Dann aber fasste er Arthurs kräftige Gestalt ins Auge, und wahrscheinlich bemerkte er auch die jugendliche Energie, die mein Freund ausströmt. Ein Leuchten flog über sein Gesicht, und ohne weiteres Zögern sagte er ernst, indem er ihm die Hand reichte:
»Sie kommen gerade zur rechten Zeit. Sie sind der Bräutigam des lieben Fräuleins, nicht wahr? Sie ist krank, sehr krank. Aber verzweifeln Sie deswegen nicht gleich …« – Arthur war plötzlich bleich geworden und beinahe ohnmächtig in einen Stuhl gesunken. »Sie sind in der Lage, ihr zu helfen. Sie können mehr für sie tun als irgendjemand auf der Welt, und Ihr Mut wird Sie dabei unterstützen!«
»Was soll ich tun?«, fragte Arthur heiser. »Sagen Sie es mir, |180| und ich werde es tun. Mein Leben gehört ihr, den letzten Blutstropfen würde ich für sie geben.« Der Professor hat einen ausgeprägten Sinn für Humor, und da ich ihn schon so lange kannte, konnte ich eine Spur davon auch in seiner Antwort finden:
»Mein junger Herr, so viel verlange ich gar nicht – nicht den letzten!«
»Was soll ich denn tun?« Arthurs Augen glühten, und seine Nasenflügel bebten vor Erregung. Van Helsing klopfte ihm auf die Schulter. »Kommen Sie«, sagte er. »Sie sind ein Mann, und einen Mann brauchen wir gerade. Sie sind besser als ich und auch besser als mein Freund John.« Arthur sah uns verwirrt an, aber der Professor erläuterte ihm die Angelegenheit in freundlichem Ton:
»Die junge Miss ist krank, sehr krank. Sie braucht Blut, Blut muss sie haben, oder sie stirbt. Mein Freund John und ich haben uns nun beraten und soeben beschlossen, eine sogenannte Bluttransfusion vorzunehmen, also Blut aus den vollen Adern eines Menschen in die leeren, bedürftigen Adern eines anderen hinüberzuleiten. John hatte sich bereit erklärt, sein Blut herzugeben, da er jünger und kräftiger ist als ich« – hier ergriff Arthur meine Hand und drückte sie schweigend –, »aber da nun
Sie
hier sind, sind Sie weit besser dafür geeignet als wir beide, alt oder jung, die sich zu sehr in der Welt der Gedanken herumtreiben. Unsere Nerven sind nicht so ruhig, und unser Blut ist nicht so frisch, wie es bei Ihnen der Fall ist.« Arthur wandte sich zu ihm um und entgegnete:
»Wenn Sie nur wüssten, wie gerne ich für sie sterben würde, würden Sie verstehen …«
Er hielt inne, da ihm die Stimme versagte.
»Guter
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