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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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ein Pferd, das ich nachts gerne weiden ließ. Eine jener großen Fledermäuse, die man Vampire nennt, hatte es in der Nacht überfallen, und als ich es mit angebissener Kehle und offenen Adern fand, hatte es nicht mehr genug Blut im Leib, um sich aufrichten zu können. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Jack, kannst du mir, ohne einen Vertrauensbruch zu begehen, sagen: War Arthur wirklich der erste Blutspender?« Während er so sprach, sah der arme Freund ganz verängstigt aus. Er wurde von Sorge um die geliebte Frau gequält, und die vollkommene Unkenntnis des schrecklichen Geheimnisses, das sie umgab, machte seine Pein noch unerträglicher. Sein Herz blutete, und er bedurfte aller seiner Selbstbeherrschung, die zum Glück sehr groß ist, um nicht umzusinken. Ich zögerte zunächst mit der Antwort, denn ich wollte nichts von dem offenbaren, was der Professor geheim zu halten mich gebeten hatte. Da er aber bereits ohnehin so viel wusste und noch einiges mehr erraten hatte, |223| sah ich letztendlich doch keinen Grund mehr, ihm die Auskunft zu verweigern. Ich sagte daher schlicht: »Ja, du hast recht.«
    »Und wie lange läuft das schon so?«
    »Etwa zehn Tage.«
    »Zehn Tage! Dann hat also das arme, kleine Geschöpf, das wir alle so lieben, in dieser Zeit das Blut von vier kräftigen Männern in sich aufgenommen. Die Männer leben, aber ihr kleiner Körper kann das Blut nicht behalten.« Er trat näher an mich heran und fragte halb flüsternd: »Was zieht es ihr wieder heraus?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das«, sagte ich, »ist eben das Rätsel. Van Helsing ist darüber einfach außer sich, und ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Ich kann nicht einmal raten. Es sind allerdings mehrere unglückliche Umstände eingetreten, die unsere Maßnahmen zur strengen Bewachung Lucys vereitelt haben. Das wird nun nicht wieder vorkommen. Wir werden hierbleiben, bis alles entschieden ist, zum Guten oder zum Schlimmen.« Quincey hielt mir die Hand hin. »Schlag ein«, sagte er, »du und der Holländer, ihr sagt mir, was zu tun ist, und ich werde es tun!«
    Als Lucy spät am Nachmittag erwachte, war ihre erste Bewegung ein Griff nach ihrer Brust. Zu meiner Überraschung zog sie das Notizblatt heraus, das van Helsing mir zu lesen gegeben hatte. Der vorsorgliche Arzt hatte es wieder dahin gelegt, woher er es genommen hatte, damit sie beim Erwachen nicht in Unruhe geriete. Ihre Augen glitten über van Helsing und dann über mich und erglänzten. Als Nächstes sah sie sich um, und als sie bemerkte, wo sie sich befand, flog ein leichter Schauer über sie; sie stieß einen lauten Schrei aus und schlug ihre abgezehrten Hände vor das bleiche Gesicht. Van Helsing und ich verstanden, dass sie sich in diesem Augenblick über den Tod ihrer Mutter klar wurde. Wir versuchten nach Möglichkeit, sie zu beruhigen. Ohne Zweifel tat ihr unsere Gegenwart wohl, aber sie war seelisch ganz gebrochen und weinte ohne Unterlass leise vor sich hin. Wir versprachen ihr, von nun an abwechselnd oder gemeinsam rund um die Uhr bei ihr zu bleiben, worüber sie sichtlich erleichtert war. Gegen Abend fiel sie |224| in einen leichten Schlaf, wobei sich etwas Sonderbares ereignete: Sie nahm im Schlummer das Papier von ihrer Brust und zerriss es. Van Helsing näherte sich leise und nahm ihr die Stücke ab, dennoch setzte sie die Bewegung des Zerreißens fort, als ob das Papier noch immer in ihren Händen wäre. Schließlich erhob sie die Hände und breitete sie aus, als wollte sie die Papierfetzen davonflattern lassen. Van Helsing war sichtlich erstaunt, und seine Augenbrauen zogen sich wie bei scharfem Nachdenken zusammen, aber er sagte kein Wort.
     
    19. September
    Lucy schlief die letzte Nacht kaum, sie war immer in Furcht vor dem Einschlafen und wachte nach kurzem Schlummer nur umso schwächer wieder auf. Der Professor und ich hatten abwechselnd die Wache übernommen; sie war keinen Augenblick unbeaufsichtigt. Quincey Morris hatte uns nicht gesagt, was er vorhatte, aber ich weiß, dass er die ganze Nacht ums Haus patrouilliert ist.
    Als der Tag anbrach, sahen wir im fahlen Licht die furchtbaren Verheerungen, die der letzte Rückfall in Lucys Organismus angerichtet hatte. Sie war kaum imstande, den Kopf zu drehen, und das bisschen Nahrung, das sie zu sich nahm, schien ihr gar nicht zu bekommen. Wenn sie jedoch kurzzeitig schlief, so fielen sowohl van Helsing als auch mir die Unterschiede in ihrem Wesen auf: Im Schlaf

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