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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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sah sie stärker, zugleich aber auch magerer aus, und ihr Atem war ruhiger. Ihr offener Mund zeigte dann das blasse Zahnfleisch, das sich von den Zähnen zurückgezogen zu haben schien, die dadurch länger und spitzer wirkten als sonst. Wenn sie wach war, änderte der milde Schimmer der Augen diesen Gesichtsausdruck wesentlich, denn sie glich dann wieder mehr sich selbst, obwohl sie immer noch wie eine Sterbende aussah. Am Nachmittag fragte sie nach Arthur, und wir telegrafierten ihm. Quincey brach auf, ihn vom Bahnhof abzuholen.
    Als Arthur ankam, war es beinahe sechs Uhr, und die Sonne ging strahlend rot unter. Ihr Licht floss durch das Fenster herein |225| und verlieh den bleichen Wangen der Patientin etwas Farbe. Arthur war, als er sie sah, völlig fassungslos, und wir alle vermochten kein Wort zu sprechen. In den vergangenen Stunden war sie uns zunehmend häufiger weggeschlafen oder in einen Dämmerzustand gesunken, und die Zeiten, in denen eine Unterhaltung möglich war, waren immer kürzer geworden. Arthurs Gegenwart aber wirkte belebend auf sie; sie raffte sich ein wenig auf und sprach lebhafter mit ihm, als wir sie seit unserer Ankunft gesehen hatten. Er selbst nahm sich zusammen und plauderte so unbefangen wie möglich mit ihr – jeder von uns tat sein Bestes.
    Es ist jetzt fast ein Uhr nachts, Arthur und van Helsing sitzen bei ihr. Ich werde sie in einer Viertelstunde ablösen, damit sie bis um sechs schlafen können. Ich halte dies hier noch auf Lucys Phonographen fest, fürchte aber, dass der morgige Tag unserer Pflege ein Ende setzen wird – ihr Anfall war viel zu schwer, als dass das arme Kind sich noch einmal erholen könnte. Gott möge uns allen helfen!
     
    Brief von Mina Harker an Lucy Westenra
    (von der Adressatin nicht mehr geöffnet)
     
    17. September
    Meine liebste Lucy,
    mir ist, als wäre ein Jahrhundert vergangen, seit ich das letzte Mal von Dir gehört, oder vielmehr, seit ich Dir geschrieben habe. Ich weiß aber, dass Du mir großmütig verzeihen wirst, wenn Du erst die Neuigkeiten kennst, die ich Dir zu berichten habe. Also: Ich habe meinen Mann wohlbehalten nach Exeter zurückgebracht. Als wir dort ankamen, erwartete uns an der Station ein Wagen, und in ihm saß, trotz eines Gichtanfalls, Mr. Hawkins. Er nahm uns mit in sein eigenes Haus, wo er einige Zimmer reizend und bequem für uns hatte einrichten lassen, und wir speisten gemeinschaftlich. Nach Tisch sagte Mr. Hawkins:
    |226| »Meine Lieben, ich trinke auf euer Glück und Wohlergehen; möge euer Leben reich gesegnet sein! Ich kenne euch beide von Jugend auf und habe euch mit Liebe und Stolz heranwachsen sehen. Nun wünsche ich, dass ihr euer Heim hier bei mir aufschlagt. Weder Frau noch Kind sind mir geblieben, sie alle sind dahin. Daher werde ich in meinem Testament alles an euch vermachen, was ich besitze!« Liebste Lucy, ich musste weinen, als Jonathan und der alte Herr sich die Hände reichten. Es war ein sehr, sehr glücklicher Abend.
    So sind wir denn hier in diesem herrlichen alten Haus; sowohl von meinem Schlafzimmer als auch vom Wohnzimmer aus sehe ich auf Ulmen, die die Kathedrale umgeben und sich mit ihren dicken, dunklen Stämmen scharf von den gelblichen Wänden abheben. Ich höre Tag für Tag hoch oben die Raben krächzen, schnattern und klatschen, wie Raben es eben tun – ganz wie die Menschen. Ich werde Dir wohl nicht besonders versichern müssen, dass ich sehr fleißig bin, denn in einem neuen Haushalt gibt es ja unendlich viel zu besorgen. Jonathan und Mr. Hawkins sind auch den ganzen Tag beschäftigt; jetzt, da Jonathan sein Teilhaber ist, hat er ihm über die Klienten manches zu sagen.
    Wie geht es Deiner lieben Mutter? Ich wollte, ich könnte rasch auf ein paar Tage in die Stadt kommen, um Euch zu sehen, Liebste. Aber ich kann ja nicht weg mit dieser Arbeitslast auf den Schultern. Und Jonathan bedarf auch immer noch der Pflege. Allmählich setzt er wieder Fleisch an, er war furchtbar mitgenommen von der langen Krankheit. Auch jetzt noch fährt er zuweilen nachts aus dem Schlaf auf und zittert an allen Gliedern, bis es mir gelingt, ihn zu seiner gewohnten Ruhe zurückzubringen. Gottlob werden diese Anfälle aber immer seltener, und ich hoffe, dass sie über kurz oder lang ganz verschwinden. Jetzt habe ich Dir aber genug von mir erzählt, nun will ich auch etwas von Euch wissen: wann Ihr heiraten werdet und wo, wer die Trauung vollziehen wird und was Du anziehst. Ich will
alles
erfahren, meine Liebe, erzähle

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