Dracula - Stoker, B: Dracula
Stethoskop feststellten, und auch die Lungen zeigten eine spürbare Aktivität. Van Helsings Gesicht strahlte fast, und als wir sie aus dem Bad hoben und in ein heißes Laken einschlugen, um sie abzutrocknen, sagte er:
»Die erste Runde geht an uns! Schach dem König!«
Wir trugen Lucy in ein anderes Zimmer, das unterdessen hergerichtet worden war, legten sie ins Bett und flößten ihr einige Tropfen Sherry ein. Ich bemerkte, dass van Helsing ein weiches, seidenes Tuch um ihren Hals band. Sie war aber noch immer bewusstlos und schwächer, als wir sie je gesehen hatten.
Van Helsing rief eines der Mädchen herein und befahl ihm, so lange bei Lucy zu bleiben und kein Auge von ihr zu wenden, bis wir zurückkämen. Dann winkte er mir, mit ihm hinauszugehen.
»Wir müssen uns beraten, was nun zu tun ist«, sagte er, als wir die Treppen hinuntergingen. Wir gingen ins Speisezimmer, wobei er hinter uns die Tür sorgfältig wieder schloss. Die Fenster waren geöffnet, die Vorhänge aber hatte man heruntergelassen, ganz wie es die Sitte bei einem Todesfall im Haus fordert – in England achten insbesondere die Frauen der unteren Klassen streng auf die Etikette. Das Zimmer war nun ziemlich finster, für unsere Zwecke aber noch hell genug. Van Helsing sah nicht mehr ernst, er sah verstört aus. Augenscheinlich zermarterte er über irgendetwas sein Gehirn. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sagte:
»Was sollen wir nun tun? An wen sollen wir uns um Hilfe wenden? Wir müssen noch mal eine Bluttransfusion vornehmen, und zwar so bald wie möglich, denn sonst hat das arme Ding keine Stunde mehr zu leben. Sie sind schon erschöpft, ich ebenfalls. Eines jener Mädchen möchte ich nicht ins Vertrauen ziehen, selbst wenn es zustimmen würde, die Operation an sich vornehmen zu lassen. Wo finden wir nun jemanden, der bereit ist, sich die Adern für sie öffnen zu lassen?«
»Wie wäre es denn mit mir?«
Die Stimme kam vom Sofa her, aus der hintersten Ecke des Zimmers, und ihr Klang erfüllte mich mit Freude und Erleichterung: |219| Es war Quincey Morris’ Stimme. Van Helsing fuhr beim ersten Ton wütend auf, dann aber nahm sein Gesicht einen milden Ausdruck an, und seine Augen strahlten. »Quincey Morris!«, rief ich, und eilte mit offenen Armen auf ihn zu.
»Wie kommst
du
denn hierher?«, fragte ich, als wir uns die Hände reichten.
»Ich schätze, dafür ist unser Arthur verantwortlich.« Er reichte mir ein Telegramm.
»Habe seit drei Tagen nichts mehr von Seward gehört, bin in schrecklicher Angst. Kann nicht weg. Vater immer noch krank. Bitte um Nachricht, wie es Lucy geht. Bitte zögere nicht. Holmwood.«
»Da bin ich wohl gerade zur rechten Zeit gekommen. Du weißt, Jack, du musst mir nur sagen, was ich tun soll.«
Van Helsing ging auf ihn zu. Er ergriff seine Hand, sah ihm gerade in die Augen und sagte:
»Das Blut eines mutigen Mannes ist die beste Sache auf Erden, wenn eine Frau in Not ist. Sie sind zweifelsfrei ein solcher Mann. Mag der Teufel gegen uns wüten, wie er will, wenn uns Gott nur immer zur rechten Zeit Männer schickt, wie wir sie brauchen!«
Und erneut machten wir uns an die unheimliche Operation. Ich habe nicht den Mut, hier auf alle Einzelheiten einzugehen. Lucy hatte einen furchtbaren Schock erlitten, und sie war stärker mitgenommen als je zuvor. Obgleich eine Menge Blut in ihre Adern floss, hatte ihr schwacher Körper kaum noch die Kraft, entsprechend zu reagieren. Es war entsetzlich anzuhören und anzusehen, wie sie sich wieder ins Leben zurückkämpfte. Schließlich aber stabilisierten Herz und Lunge ihre Tätigkeit, und van Helsing setzte ihr wie immer eine Morphiumspritze, die von recht guter Wirkung war – ihre Ohnmacht ging unmerklich in einen tiefen Schlummer über. Der Professor blieb bei ihr, während ich mit Quincey Morris die Treppen hinunterging und |220| ein Mädchen ans Tor schickte, um einen der Kutscher zu bezahlen, die draußen noch immer warteten. Nachdem Quincey ein Glas Wein getrunken hatte, veranlasste ich ihn, sich etwas niederzulegen, und beauftragte die Köchin, ein gutes Frühstück zuzubereiten. Dann fiel mir etwas Wichtiges ein, und ich ging ins Zimmer zu Lucy zurück. Ich trat leise ein und fand van Helsing mit einigen Bögen Papier beschäftigt. Er hatte offenbar gelesen und dachte nun nach, denn er saß mit aufgestütztem Kopf da. Es lag ein Ausdruck von Genugtuung in seinem Gesicht, wie bei jemandem, der von einem Zweifel befreit ist. Als er mich erblickte,
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