Dracyr – Das Herz der Schatten
Kay blickte zu Branwen hinüber, die im Moment leicht versetzt neben ihr flog. Die zierliche Person war zäher, als sie aussah. Sie ritt ihren Dracer geschickt und scheinbar mühelos. Kay versuchte, ihren Blick aufzufangen, aber Branwen schien in Gedanken versunken zu sein, obwohl sie jedem Richtungswechsel ohne Verzögerung folgte.
Kay kniff die Augen zusammen, weil die tiefstehende Sonne sie blendete, und beobachtete, dass Palemyon, der schräg über Rystadin flog, stetig an Höhe verlor und Branwen dabei gefährlich nahe kam. Wenn Neirin seinen Kurs nicht änderte, würden die beiden kollidieren und Branwen konnte es nicht rechtzeitig bemerken und ausweichen, weil sie ihre Aufmerksamkeit auf die Kehrtwendung richtete, die Rystadin gleich vollziehen musste.
Kay schrie, aber der starke Wind riss ihr die Worte von den Lippen. Sie atmete tief durch. Die Katastrophe schien unabwendbar. Jetzt hatte auch Damian bemerkt, was sich dort anbahnte, und lieà Noctyria in eine steile Abwärtsspirale fallen, aber er würde zu spät kommen, um Palemyon noch abzufan gen.
Kay griff entschlossen tief nach innen und gleichzeitig nach auÃen und umfasste das Bewusstsein der beiden Dracyr, die zu kollidieren drohten. Sie befahl Palemyon, steil hochzuziehen und dabei die heranrasende Noctyria zu umfliegen, und gleichzeitig gab sie Rystadin den Befehl, sich nach rechts unten fallen zu lassenâ und betete zu allen Heiligen, dass sowohl Branwen als auch Neirin sich gut festhielten.
Sie hörte den schrillen Aufschrei ihrer Freundin, als Rystadin plötzlich abzustürzen schienâ denn so musste es sich für sie anfühlen. Kay trat der Schweià auf die Stirn, als sie mit einer geistigen Anstrengung, die ihr Gehirn in Stücke zu reiÃen drohte, jetzt auch noch die Dracyr von Evan und Morgan zur Seite und nach unten dirigierte. Falls Branwens Gurte unter der übermäÃigen Belastung rissen und sie fiel, konnten die beiden versuchen, sie aufzufangen.
Sie zitterte am ganzen Leib, als Rystadin endlich seinen Sturzflug abfing, Palemyon mit letzter Kraft ihren Steigflug vollendet hatte und Branwen immer noch im Sattel saÃ. Die Formation war nun vollkommen auseinandergebrochen, die vorderen Dracyr flogen verwirrt im Kreis, die hinteren beiden hatten begriffen, was geschah, und sich zu Valedanys und Migaryas gesellt, die den drohenden Sturz hätten auffangen sollen.
Damian flog dicht neben Branwen und schien sie nach ihrem Befinden zu befragen. Kay blickte empor und sandte Palemyon die Weisung, sich zur Burg zurückzuziehen. Sie konnte die Erschöpfung der Wyvern so deutlich spüren, als wäre es ihre eigene.
Palemyon drehte ab und lieà sich zurückfallen. Kay sah, wie Damian sich im Sattel aufrichtete und dem davonfliegenden Dracer hinterherblickte. Er drehte den Kopf, sah auf die auseinandergefallene Formation und gab das Zeichen für Abbruch und Rückkehr. Sein Gesicht wandte sich Kay zu und er erwiderte einige Atemzüge lang ihren Blick, dann drehte er ab und folgte den anderen.
Kay lieà sich nach vorn gegen den Sattel sinken und schloss die Augen. Ihr Kopf hämmerte und ihr war übel. Was hatte sie gerade getan? Sie hatte in ein Manöver eingegriffen und Damians Befehlsgewalt infrage gestellt. Sie hatte ihn lächerlich gemacht, vor allen anderen. Er würde sie dafür bestrafen, das war so sicher wie der nächste Sonnenaufgang.
Dann schimpfte sie mit sich und richtete sich wieder auf. Ohne ihr Eingreifen hätte es einen fatalen Zusammenstoà gegeben, der die Dracyr und ihre Reiter mit Sicherheit verletzt hätte. Sie hatte richtig gehandelt, und wenn Damian das anders beurteilte, dann war das sein Problem. Sie würde jede Strafe mit einem Lächeln hinnehmen.
Während sie langsam zurückflog, kehrte auch der Schmerz über Damians Treulosigkeit zurück. Wie gefühllos er in Wirklichkeit war, begriff sie jetzt erst. Er hatte mit ihr gespielt, von Anfang an. Sie atmete schluchzend ein und drängte diese Gedanken mit Macht beiseite. Es war gut so, wie es war. Sie würde mit Branwen fliehen und die Rebellen mussten sich einen anderen Weg ausdenken, den Dracyrlord zu beseitigen. Kay war aus dem Spiel.
Die Reiter scharten sich in der groÃen Höhle um Damian, während die Dracyr von den Pferchwächtern abgesattelt und zu ihren Nestern gebracht wurden. Kay kraulte Gormydasâ weiche Nüstern und flüsterte
Weitere Kostenlose Bücher