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Dracyr – Das Herz der Schatten

Dracyr – Das Herz der Schatten

Titel: Dracyr – Das Herz der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom , Susanne
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er zwingt sich dazu, aufrecht stehen zu bleiben, obwohl er sich mit jeder Faser seines geschundenen Körpers danach sehnt, sich zusammenzurollen, den Kopf in den Armen zu bergen und niemals wieder aufzustehen. Er ist zu schwach weiterzugehen und zu jämmerlich, seinen Dolch zu nehmen und sich die Kehle durchzuschneiden.
    Er presst sich an die Wand, reibt seine Wange und seine Stirn fest an dem rauen Stein, genießt den Schmerz, fühlt das Pochen und dumpfe Brennen seiner Nase, den Druck der Blutergüsse, heißt den Schmerz willkommen, taucht tief hinein, saugt Kraft daraus. Mehr noch als der körperliche Schmerz quält ihn die Demütigung, die Verachtung, die sein Vater durch seinen Fausthieb bekundet hat. Wie einen Diener hat der Dracyrmeister ihn gezüchtigt. Mit einem Stöhnen, das tief aus seiner Kehle bricht, hebt er die Hand und zwickt fest in seine geschwollene Nase. Der Schmerz ist heiß und flammend und treibt ihm Tränen in die Augen.
    Seine Hand gleitet hinab zu seinem Gürtel und ertastet den Griff seines Dolches. Ein schneller, beherzter Schnitt und alles Leid hat ein Ende. Die düsteren Schatten werden sich von seinem Gemüt heben und dem barmherzigen Dunkel des ewigen Schlafes weichen. Für immer schlafen. Traumlos und friedvoll. Seinem Peiniger für immer entflohen.
    Seine Finger schließen sich um den Griff, ziehen den Dolch blank, heben ihn zitternd empor, bis er das Schimmern des Stahls im schwachen Licht des Ganges erkennen kann. Kalt und glatt und so willkommen wie der Anblick eines Lächelns. Der Dolch schmiegt sich in seine Hand. Er liebkost die scharfe Schneide wie die Wange einer Geliebten, hebt sie an seine Kehle. Es wäre keine Anstrengung dafür nötig. Nur ein kleiner Ruck, nur ein wenig verstärkter Druck. Eine kleine, winzig kleine Überwindung. Nur ein Feigling würde zögern.
    Das Messer ritzt seine Haut. Er hält inne. Sein Atem geht flach und hastig, und Schweiß läuft über sein Gesicht, obwohl ihm eisig kalt ist. Das Zittern, das seinen Körper schüttelt, macht an seinem Handgelenk halt. Seine Hand liegt ruhig um den Griff des Dolches. Nur ein einziger, entschlossener Stoß, dann ist alles vorüber.
    Mit einem erstickten Schrei reißt er die Hand weg und lässt die Waffe fallen, die mit einem dumpfen Klirren auf den Boden fällt. Er sinkt in die Knie und birgt das Gesicht in den Händen. Zu schwach. Er ist nichts weiter als ein Feigling. Das ist der Grund, warum sein Vater ihn züchtigt. Der Dracyrmeister weiß, was für ein jämmerlicher, verachtenswerter Schwächling er ist. Er weiß es, und jeder seiner Schläge dient dazu, seinem Sohn diese Schwäche auszutreiben, ihn zu stärken und zu stählen.
    Aber obwohl Damian dies erkennt und billigt, kann er es doch kaum noch ertragen.
    Er kauert am Boden, zu zittrig und zu verstört, um sich aufzuraffen und seinen Weg fortzusetzen. Selbst die Schritte, die sich ihm nähern, langsamer werden, vor ihm stehen bleiben, können ihn nicht dazu bewegen, seinen Kopf zu heben.
    Eine Hand berührt seine Schulter, greift unter seine Achsel, zieht ihn auf die Beine. » Komm, mein Junge « , sagt Sams raue Stimme. » Komm. Noctyria wartet auf dich. Sie hat mich geschickt, um nach dir zu sehen. «
    Damian kann nicht verhindern, dass Tränen in seine Augen steigen. » Sam « , sagt er heiser. » Sam, du darfst niemals, niemandem erzählen… « Er kann nicht fortfahren, aber der Pferchwächter drückt seinen Arm und nickt. Er lehnt Damian behutsam gegen die Wand und bückt sich erneut, um den Dolch aufzuheben und in die Scheide zurückzustecken, die leer an Damians Gürtel baumelt. » Komm « , wiederholt er so sanft, als spräche er zu einem neugeborenen Dracer. » Kannst du gehen? «
    Damian rafft den kümmerlichen Rest seiner Kraft zusammen und nickt. Sam schiebt seine Schulter unter Damians Arm und stützt ihn. » Es ist zu viel « , brummt er, während sie den Gang hinuntersteigen. » Ich weiß nicht, was ich tun soll, mein Junge. Du bist nicht… du solltest nicht mehr… « Er unterbricht sich und stößt ein Knurren aus, das gleichzeitig zornig und resigniert klingt. » Ich wollte, ich könnte etwas tun « , sagt er.
    Damian ist zu erschöpft, um ihn zu fragen, was er meint.
    Endlich erreichen sie Noctyrias Nest. Die Wyvern hat sich wachsam auf die Hinterbeine

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