Dracyr – Das Herz der Schatten
aufgerichtet und reckt den Hals. Als sie Damian sieht, wie er sich an Sams Schulter gelehnt zu ihr hinschleppt, sinkt sie auf den Boden zurück und legt die abgespreizten Flügel wieder eng an den Leib, aber ihre Augen fixieren Damian wachsam.
» Da sind wir « , sagt Sam und hilft dem schwankenden Damian in das Dracyrnest. » Ich bringe dir Wasser. Etwas zu essen? «
Damian erwidert nichts. Er bricht vor Noctyria in die Knie, hockt mit auf die Brust gesenktem Kopf da und kämpft darum, sein Bewusstsein nicht zu verlieren. Noctyria streckt eine Klaue aus und greift nach ihrem Reiter, hebt ihn behutsam an und bettet ihn so, dass sie ihn mit ihrem Flügel beschirmen kann. Sie schlingt ihren Hals und den langen Schweif wie einen hohen Wall um seinen Körper, seufzt und schlieÃt die Augen.
Damian.
Tyria.
Du bist verwundet.
Es ist nichts.
Dracyrmagie beginnt, sich in ihm zu sammeln. Er spürt sie in seinen Adern, seinen Knochen, seinem Innersten, lindernd und heilend, den Schmerz vertreibend. Er atmet tief und sinkt in einen tiefen Schlummer.
Als er erwacht, sind die scharfen Schmerzen einem dumpfen Pochen gewichen und er fühlt sich erfrischt. » Danke « , sagt er und legt seine Stirn an Noctyrias Flanke.
Er tötet dich.
Er ist mein Vater. Er will, dass ich stark bin.
Er ist wahnsinnig, genau wie Paindal.
Damian antwortet nicht. Er fröstelt. Paindal, der Dracer seines Vaters. Ein riesiger, uralter tiefschwarzer Warner, bösartig und unberechenbar. Er lebt getrennt von der Gruppe, ein Einzelgänger. Selbst Sam wagt sich nur mit Panzerung und schwer bewaffnet in sein Nest, und die Pferchwächter, die ihn säubern, füttern und das Nest in Ordnung halten, werden in kurzen Abständen durch andere ersetzt, weil niemand diesen Dienst auf Dauer zu tun gewillt istâ oder weil Paindal sie gefressen hat.
Damian senkt den Kopf, immer noch bis auf die Knochen ermattet. Paindal und Lord Harrynkar sind schon seit mehreren Menschenaltern miteinander vereint. Was bedeutet das? Dass sein Vater wahnsinnig ist, genauso wie sein Dracer?
Er schläft wieder ein, erwacht, um etwas zu trinken, schläft wieder. Um ihn ist das stete Summen der Dracyrmagie.
Als er das nächste Mal aufwacht, fühlt er sich gestärkt und wieder ganz und gar im Lot. Die vergangenen Stunden erscheinen wie ein wirrer, dumpfer Albtraum. Er erhebt sich, reckt die Arme und krault Noctyrias weiche Atemöffnung. » Danke « , sagt er.
Die Wyvern schlieÃt zustimmend die Augen und lässt sich nun selbst in den Schlaf sinken. Damian hockt noch eine Weile an ihren warmen Leib gelehnt und spürt ihren Atem, der ihre Flanken hebt und senkt. Sie hat ihm Heilung geschenkt, wie sie es immer tut, wenn er verletzt und geschunden an Körper und Seele unter ihre Flügel kriecht. Damian kann sich nicht an seine Mutter erinnern, aber Tyria ist ihm Mutter und Freundin, Gefährtin und Heim, seit er ein kleines Kind war. Sie ist ihm mehr wert als jeder Mensch in seiner Umgebung. Mit einem Schaudern erkennt er, dass dies auch seinen Vater einschlieÃt. Wenn er sich entscheiden müsste⦠Er unterbricht diesen ketzerischen Gedanken und klopft Noctyria auf die Flanke. » Schlaf gut, meine Freundin « , sagt er leise und erhebt sich, um das Nest zu verlassen.
Im Pferch gibt es eine Waschgelegenheit, die er gelegentlich ebenfalls nutzt. Er verspürt keinen Drang, an die Oberfläche zurückzukehren, also streift er sein Hemd ab, lässt den Pumpenschwengel tanzen und hält seinen Kopf unter das eisig kalte Wasser. Es läuft über sein Gesicht und seine Schultern, die Kälte raubt ihm den Atem und macht ihn schlagartig hellwach. Er prustet und schnaubt, schüttelt die Tropfen ab und reibt sich mit seinem Hemd das Gesicht und den Oberkörper trocken.
Als er aufsieht, bemerkt er, dass ihn jemand beobachtet. Kay hockt reglos an der Felswand, sie hat die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen. Das Licht der Fackeln spielt über ihr schwarzes Haar und die helle Haut, verbirgt ihre Augen, lässt ihre schlanke Gestalt mit dem Schatten verschmelzen. Dennoch ist ein Leuchten um sie, das seinen Blick fesselt und ein enges Band um sein Herz schlägt. Er lässt die Hand sinken, das feuchte Hemd schlägt gegen sein Bein. Er greift in sein Haar, zieht die nassen Strähnen aus dem Gesicht und lässt dabei seinen Blick nicht von dem Mädchen. » Wie geht es dir?
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